Geisterlicht: Roman (German Edition)
mehr lieben konnte. Aber warum müssen auch all seine Nachkommen leiden? Was kann Aidan dafür?«
Ohne Fionas Zutun hob sich ihre rechte Hand und blätterte die Seiten in dem Büchlein auf ihrem Schoß um. Fast ganz am Ende deutete ihr eigener Zeigefinger auf einen kurzen Absatz, der in zittriger Schrift mitten auf einer Seite stand.
Mein Bruder Arthur hat Catriona, meine beste Freundin – die Frau, die ihn liebte und ihm vertraute, bevor er sie für seine wohlhabene Ehefrau verriet –, der Hexerei bezichtigt. Ich hasse ihn, auch wenn er schon seit Tagen todkrank im Bett liegt. Vielleicht ist seine Krankheit die Strafe für sein unrechtes, böses Tun. Ich werde Tag und Nacht für Catriona beten!
»Mein Gott! Er war es! Arthur hat dich auf den Scheiterhaufen gebracht!«
Nun stürzten endgültig die Tränen aus Fionas Augen. Sie schluchzte laut und spürte, dass es nicht nur ihr eigener Kummer und ihr eigenes Entsetzen waren, die ihr fast das Herz zerrissen. Sie machte keinen Versuch, ihre Wangen zu trocknen, sondern ließ die Traurigkeit zu, die sich schwer wie eine dunkle Decke über sie gelegt hatte.
Dann ging ein schmerzhafter Ruck durch ihren Körper, und sie fühlte, wie das Gewicht, das auf ihr lastete, ein wenig leichter wurde. Erstaunt hob sie den Kopf und ließ die Hände sinken, in denen sie ihr Gesicht verborgen hatte. Durch den Schleier ihrer Tränen erkannte sie Catrionas graue Gestalt, die soeben mit der Wand ihr gegenüber verschmolz und dann verschwand.
Eine neue Welle der Traurigkeit durchlief Fiona, krampfhafte Schluchzer stiegen in ihrer Kehle auf, und sie hatte das Gefühl, sie würde nie mehr aufhören können zu weinen.
Dreizehntes Kapitel
Während Aidan mit dem Teetablett die schmale Turmtreppe hinaufstieg, hörte er bereits Fionas herzzerreißendes Schluchzen.
Er unterdrückte einen Seufzer. Diese Frau schien einen ganzen Berg Kümmernisse mit sich herumzuschleppen, von denen sie ihm bisher sicher nur einen kleinen Teil verraten hatte. Einerseits wollte er ihr gern helfen und herausfinden, was sie wirklich bedrückte, andererseits war das schwierig, ohne ihr dabei zu nahe zu kommen. Und er hatte sich geschworen, in Zukunft Abstand zu halten, damit er Fiona nicht unversehens wieder in den Armen hielt.
Aidan hatte schon fast die Tür zum Turmzimmer erreicht, als er irritiert blinzelte, weil er meinte, einen grauen Schatten zu sehen, der sich von der Wand löste. Eine zierliche Gestalt glitt auf ihn zu. Er blieb stehen und kniff die Lider zusammen. Doch da war der Schatten schon wie eine Nebelschwade an ihm vorbeigezogen und nun bildete er sich ein, dass die Luft um ihn herum für Sekunden kühler geworden war.
Aidan schüttelte energisch den Kopf. Der fehlende Schlaf machte sich auf seltsame Weise bemerkbar. Eine Tasse Tee würde ihm sicher guttun.
Im Turmzimmer war es eine Weile ruhig gewesen, doch jetzt hörte er wieder lautes Schluchzen. Mit dem Ellbogen drückte Aidan die Klinke hinunter und trat ein.
Fiona saß immer noch auf dem Stuhl neben dem Regal, hatte das Gesicht in den Händen verborgen und weinte so herzzerreißend, dass Aidan plötzlich selbst die Traurigkeit wie einen Stein in der Brust spürte. Sie schien sein Eintreten nicht bemerkt zu haben. Er stellte das Teetablett auf den niedrigen Tisch vor den beiden Ledersesseln und ging zu ihr hinüber. »Fiona?«, fragte er leise, doch im selben Augenblick kam ein lauter Schluchzer aus den Tiefen ihrer Kehle, und sie hörte ihn anscheinend nicht.
Da hockte er sich vor sie hin und zog vorsichtig ihre Hände von ihrem Gesicht. Als sie ihn anschaute und er die Tränen in ihren grünen Augen sah, gab es plötzlich nichts Wichtigeres für ihn, als sie von ihrem Kummer zu erlösen.
»Komm.« Er half ihr von dem niedrigen Stuhl und legte die Arme um sie. Das Büchlein, das auf ihrem Schoß gelegen hatte, glitt zu Boden, doch er kümmerte sich nicht darum.
Vertrauensvoll legte sie ihr tränennasses Gesicht an seine Schulter, und langsam verebbte ihr Schluchzen, während er ihr beruhigend über den Rücken strich. Dabei wurde ihm bewusst, dass er nie zuvor für eine Frau so empfunden hatte wie für Fiona. Auch nicht für Lea, die er beinahe geheiratet hätte.
Ebenso wie damals Lea weckte auch Fiona Begehren in ihm, wenn er ihren schlanken, biegsamen Körper spürte, ihre Wärme, ihren Atem an seinem Hals. Doch da war mehr als der Wunsch, sie in sein Bett zu bekommen. Er wollte sie beschützen, sie trösten, ihr helfen. Er
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