Geisterlicht: Roman (German Edition)
dich anzurufen, aber du hast dich nicht gemeldet. Es war schon fast zehn. Warst du so lange bei Aidan auf Sinclair Castle?«
Fiona zuckte zusammen. »Ich bin früh zu Bett gegangen, weißt du. Ich muss das Telefon überhört haben.« Das war wieder gleichzeitig eine Lüge und die Wahrheit. Sie fühlte sich schrecklich dabei. Hastig stand sie vom Tisch auf und stellte die Suppenteller zusammen. »Und ich bin schon wieder todmüde. Das liegt wohl immer noch an der Luftveränderung. Wir reden morgen weiter, ja?«
Ohne auf Dawns erstaunten Blick zu reagieren, verließ Fiona schnellen Schrittes die Küche. Neuerdings schien sie ständig auf der Flucht zu sein.
Sechzehntes Kapitel
Seufzend richtete Fiona sich auf, schlug die Bettdecke zurück und schwang die Beine über die Bettkante. Seit zwei Stunden starrte sie nun im Dunkeln an die Decke und konnte nicht einschlafen.
Nebenan in Dawns Zimmer war kein Laut zu hören. Ihre Schwester war kurz nach ihr ins Bett gegangen und schlief sicher längst, erschöpft von den Strapazen der Klassenfahrt.
Während Fiona darauf wartete, dass der Schlaf auch zu ihr kam und sie von den Gedanken erlöste, die pausenlos in ihrem Kopf kreisten, sah sie sich immer wieder in ihrem Zimmer um.
Durch das Fenster fiel das Licht der Mondsichel, die klar am nachtblauen Himmel hing. Sie konnte die Umrisse der Möbel erkennen, und hätte sicher auch Catriona gesehen, wenn sie wie schon so oft stumm in einer Ecke gestanden hätte. Wenn sie in dieser Nacht gekommen wäre, um mit ihr zu reden und ihr zu sagen, was sie tun musste, damit ihre Ahnfrau endlich Ruhe und Vergessen fand. Sicher konnte sie Fiona auch verraten, was nötig war, um Aidan vom Fluch seiner Familie zu befreien und dafür zu sorgen, dass Dawn glücklich wurde. Doch Catriona zeigte sich nicht. Inzwischen war es schon fast Mitternacht, und Fiona hielt es nicht länger aus, sich schlaflos hin und her zu wälzen.
Im Dunkeln tastete sie sich die Treppe hinunter, um zu vermeiden, dass Dawn aufwachte, das Licht unter ihrer Tür durchschimmern sah und ebenfalls nach unten kam, um ihr weitere Fragen über Aidan zu stellen. Obwohl Catriona Fiona mittlerweile vertraut war, verursachte ihr der Gedanke, dass sie jederzeit aus der Dunkelheit vor oder hinter ihr auftauchen konnte, immer noch eine Gänsehaut. Dennoch hoffte sie inständig, sie möge kommen.
Unten in der Küche knipste sie das Licht an und flüsterte Catrionas Namen. Doch nichts geschah. Sie würde versuchen müssen, allein eine Lösung zu finden.
Auf der Anrichte am Fenster lag das »Familienbuch«, wie sie den großen Lederband mit den Aufzeichnungen über Hexensprüche, Zaubertinkturen und magische Zeichen bei sich nannte. Inzwischen hatte Fiona herausgefunden, dass sie einfache Zaubereien wie die Sache mit der Tür ohne Anleitung bewerkstelligen konnte. Schließlich hatte sie solche Dinge schon immer gekonnt, einfach indem sie sich darauf konzentriert und sie sich gewünscht hatte. Sie hatte nur lernen müssen, dies jetzt ganz bewusst und in dem Wissen zu tun, dass es auch funktionieren würde.
Mit Kräutern kannte sie sich dagegen überhaupt nicht aus. Ebenso wenig mit der Lösung komplizierterer Aufgaben. Wie etwa der, ihre Schwester davon abzubringen, einen Mann zu lieben, der nicht in sie verliebt war, der gar nicht in der Lage war, sie jemals zu lieben – und für den noch dazu Fionas Herz schlug. Durfte sie das überhaupt? Durfte sie versuchen, Dawns Gefühle für Aidan wegzuzaubern? Noch dazu ohne ihre Schwester vorher zu fragen, ob sie ihre Zuneigung für ihn tatsächlich loswerden wollte?
Fiona trug das dicke Buch zum Küchentisch, setzte sich davor, schlug es auf und vertiefte sich in die vergilbten Seiten. Die Uhr an der Wand hinter ihrem Rücken tickte emsig, eine Stunde nach der anderen verstrich, während sie las. Als sie aufatmend das Buch zuschlug, lag im Osten der erste Schimmer des neuen Tages über den Hügeln.
Fiona wusste nicht, ob es funktionieren würde, aber sie hatte zumindest eine Möglichkeit gefunden. Etwas, das sie versuchen konnte. Sobald Dawn in der Schule war, würde sie all ihren Mut zusammennehmen und nach Sinclair Castle fahren.
Dieses Mal tuckerte das kleine rote Auto problemlos den Hügel zur Burg hinauf. Langsam zwar, doch das störte Fiona nicht. Ihr Herz klopfte vor Angst wie wild, und sie hoffte, es würde sich noch ein wenig beruhigen, bevor sie ihr Ziel erreichte.
Das Gegenteil war der Fall. Alles andere wäre ohnehin ein
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