Geisterlicht: Roman (German Edition)
war. Vor ihrem geistigen Auge sah Fiona sich in einem Boot auf die Insel zu fahren – aber nicht allein.
Seufzend wandte sie sich der Burg zu. Wenn es keine andere Möglichkeit gab, Dawn zu helfen, würde sie eben das tun. Sie verdrängte den Gedanken, dass sie es vielleicht ein kleines bisschen auch für sich selbst tat, weil dann für sie der Weg zu Aidan frei war. Was natürlich ohnehin nichts nützte, denn auch das seltene Kraut von der Insel würde die Herzen der MacNaughton-Männer nicht aus ihren Fesseln befreien.
Als Fiona das Burgtor von Sinclair Castle erreichte, parkte davor ein Transporter. Offenbar hatte Aidan die Handwerker im Haus. Sie zögerte, doch wenn sie ihr Vorhaben aufschob, würde sie vielleicht nie mehr den Mut dazu aufbringen. Entschlossen drückte sie auf den Klingelknopf.
Zu ihrem Erstaunen öffnete ihr eine äußerst attraktive Frau mit blonden Haaren und blauen Augen. Wären da nicht die blaue Kittelschürze und der Staubsauger gewesen, dessen Rohr sie in der Hand hielt, hätte man sie für eine Fee halten können.
»Guten Tag.« Beim Lächeln entblößte die blonde Schönheit strahlend weiße Zähne.
Fiona kämpfte einen Anflug von Eifersucht nieder. Musste sich nicht jeder Mann unweigerlich in diese Frau verlieben, selbst wenn sie in einem sackförmigen Kittel steckte?
»Wollen Sie zu Aidan?«, erkundigte die Frau sich freundlich, als Fiona sie nach einer Weile immer noch wortlos anstarrte.
Diese nickte stumm.
»Er ist mit dem Dachdecker im Westturm. Da oben scheint es durchzuregnen. Gehen Sie einfach hinauf.« Einladend deutete das feengleiche Wesen auf die Treppe, bevor sie ihren Staubsauger wieder einschaltete und den schwarz-weißen Fliesenboden der Halle bearbeitete.
Zögernd stieg Fiona die breite Treppe zur Galerie hinauf und erklomm die Wendeltreppe des Westturms.
Oben angekommen, klopfte sie, und als keine Antwort kam, stieß sie entschlossen die Tür auf. Der Raum, in den sie nun eintrat, war ebenso groß wie das Arbeitszimmer im Ostturm. Dieses Zimmer war allerdings bis auf die zahlreichen Gemälde an den Wänden vollkommen leer. Jetzt erinnerte sie sich, dass Aidan eine Ahnengalerie erwähnt hatte, die im zweiten Turm untergebracht war – und die er niemals betrat.
Auch heute war er nicht nach oben gekommen, um die Bilder seiner Vorfahren anzuschauen. Er stand in der Nische neben dem Fenster und redete mit einem vierschrötigen Mann in einer blauen Latzhose. Der Handwerker balancierte auf der obersten Stufe eine Stehleiter, von wo aus er nur mühsam die Zimmerdecke erreichte, die er mit seinen Fingerspitzen betastete. »Es fühlt sich nicht nass an«, verkündete er soeben.
»Da oben ist ein feuchter Fleck, das erkennt man, ohne es anzufassen.« Aidan verschränkte die Arme vor der Brust und machte den Eindruck, als würde er den Mann nicht fortlassen, bevor das Problem gelöst war, von dem der Handwerker behauptete, dass es nicht existierte.
»Entschuldigung.« Fiona räusperte sich, doch die beiden Männer schienen sie gar nicht zu hören. So beschloss sie, zu warten, bis der Handwerker ging, denn solange er da war, wollte sie ihr Anliegen sowieso nicht vorbringen. Stattdessen konnte sie sich die Zeit vertreiben, indem sie die Gemälde betrachtete.
Bei den MacNaughtons handelte es sich um eine bemerkenswert gut aussehende Familie. Sämtliche Frauen waren atemberaubende Schönheiten mit goldblonden oder haselnussbraunen Haaren. Sie alle besaßen ein üppiges Dekolleté und, sofern es sich nicht um angeheiratete Verwandtschaft handelte, dunkelblaue Augen mit goldenen Einsprengseln. Aidans Augen. Auch sämtliche MacNaughton-Männer blickten aus ihren Porträts den Betrachter mit diesen blaugoldenen Augen an.
Während die beiden Männer in der Fensternische immer noch lautstark diskutierten und Aidan nun auf die Leiter kletterte, um seinerseits die Decke zu befühlen, spazierte Fiona von einem Gemälde zum anderen.
Sie wusste, dass sie vor Arthur MacNaughtons Bild stand, bevor sie das kleine Metallschild unten am Rahmen gelesen hatte. Er ähnelte Aidan so sehr, dass es ihr den Atem verschlug.
Bewegungslos stand sie da und starrte in das fremde und doch so vertraute Gesicht. Was hatte es zu bedeuten, dass Aidan aussah wie Arthur und sie selbst Catriona so sehr glich? Erlebten sie beide die Anziehung noch einmal, die zwischen ihren Ahnen geherrscht hatte – und würde auch ihre Geschichte mit Verrat und Tod enden? Fiona versuchte den Schauer zu ignorieren,
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