Geisterlicht: Roman (German Edition)
der sie durchlief, und ging rasch weiter zum nächsten Gemälde.
Gleich neben Arthurs Konterfei hing ein Bild seiner Frau Martha. Ihre Augen waren wie Eis, ihr Mund verkniffen, ihre hellbraunen Haare zu einem strengen Knoten zusammengefasst. Sie sah genauso aus, wie Fiona sie sich nach dem Lesen von Rodinas Tagebuch vorgestellt hatte.
Rodinas Porträt war dann auch das nächste in der Reihe. Sie musste wunderhübsch gewesen sein, zart und blass, mit riesigen blauen Augen und weißblondem Haar.
Fiona war so versunken in den Anblick des zerbrechlich wirkenden Mädchens, dass sie zusammenfuhr, als Aidan sie plötzlich ansprach.
»Hallo, Fiona«, sagte er mit sanfter, warmer Stimme. »Schön, dass du mich besuchst.«
Sein Lächeln durchfuhr sie wie ein heißer, kribbelnder Pfeil. Sie deutete auf die Gemälde an der Wand. »Das ist also deine Ahnengalerie.«
»Wie hieß noch der MacNaughton, nach dem du mich gefragt hast?« Sein Lächeln verblasste, und er schien sich um einen sachlicheren Ton zu bemühen. Offenbar hatte er das Gespräch nach der gemeinsam verbrachten Nacht nicht vergessen, in dem sie sich gegenseitig beteuert hatten, dass eine Beziehung für sie nicht infrage kam.
»Er hieß Arthur«, erwiderte sie leise. »Aber deshalb bin ich nicht gekommen. Ich wollte dich um etwas bitten.« Sie schaute sich in dem großen Raum um. Der Handwerker war verschwunden, ohne dass sie es bemerkt hatte. »Unten in der Halle war eine Frau, die mich hochgeschickt hat.«
»Meine Haushälterin. Mrs Innes. Sie ist eine Schönheit, nicht wahr? Alle Männer im Dorf laufen ihr hinterher, aber sie hat mit achtzehn einen Mann mit einer spastischen Lähmung geheiratet. Die beiden sind jetzt seit fast zehn Jahren zusammen und sehr glücklich, wie es scheint. So etwas nennt man wohl Liebe.«
In Aidans Augen brannte die Sehnsucht so hell, dass Fiona sich unwillkürlich fragte, ob auch er in die schöne Mrs Innes verliebt war. Oder sehnte er sich einfach nur nach einer Liebe, wie diese Frau sie offenbar zu ihrem Mann verspürte? Einer Liebe, die wegen des Fluchs, den Catriona vor vielen Jahren über die MacNaughtons verhängt hatte, immer unerreichbar für ihn sein würde? Für ein oder zwei Sekunden ließ Fiona die Sehnsucht zu, die nun auch in ihr aufstieg. Sehnsucht nach Liebe. Nach Aidan, der zum Greifen nah und doch unerreichbar vor ihr stand.
»Was wolltest du mich fragen?«
Sie fuhr zusammen und machte eine nervöse Handbewegung in Richtung Fenster. »Ich … Ich muss auf die Insel in deinem See. Dort wachsen seltene Kräuter, die ich unbedingt brauche. Es gibt sie angeblich nur dort.«
»Ich habe nichts dagegen, wenn du sie pflückst. Du kannst für die Überfahrt das Boot benutzen, das am Steg liegt.«
»Danke. Das ist nett.« Fiona musste krampfhaft schlucken, bevor sie weiterreden konnte. Es fiel ihr furchtbar schwer, mit ihm über ihre Angst zu reden. Angst war schließlich das intimste Gefühl überhaupt. Aber da sie dort unten am See gespürt hatte, gemeinsam mit Aidan die Überfahrt zur Insel wagen zu können, musste sie nun auch so mutig sein, ihn zu bitten, mit ihr zu kommen.
»Aber?« Aufmerksam schaute er ihr ins Gesicht. »Da kommt doch noch was, hab ich Recht?«
»Ich traue mich nicht allein«, flüsterte sie so leise, dass sie schon fürchtete, er würde sie nicht verstehen.
»Kannst du nicht rudern? Versuch es einfach. Es ist nicht schwierig, und die Strecke ist so kurz, dass du selbst dann irgendwann ankommst, wenn du die Richtung nicht halten kannst.« Er lächelte ihr aufmunternd zu.
»Das ist nicht das Problem.« Es gelang ihr, ein wenig lauter zu sprechen. »Ich habe Angst vor Wasser. Weil ich als kleines Kind im Urlaub mal in einen Bergsee gefallen bin. Ich konnte noch nicht schwimmen und …« Ihre Stimme versagte, als sie wieder das wirbelnde Blau vor ihren Augen sah, kein Oben, kein Unten, eisige Kälte, keine Luft zum Atmen … Dann waren Aidans Hände da, die ihr beruhigend über den Rücken strichen, seine Wärme und seine Arme, die ihr Halt gaben.
»Es geht schon wieder«, murmelte Fiona und befreite sich sanft aus seiner Umarmung. Es war schmerzlich, sich von ihm lösen zu müssen, obwohl alles in ihr nach ihm schrie. Sie hielt den Kopf gesenkt und spürte doch seinen Blick.
»Wenn du mir die Kräuter beschreibst, hole ich sie dir.« Er strich ihr über den zitternden Arm.
»Das ist sehr … lieb von dir, aber das geht nicht.« Es gelang ihr nur kurz, ihn anzusehen, dann musste sie
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