Geisterlicht: Roman (German Edition)
Kleider zusammen und verließ Aidans Schlafzimmer. Er machte keinen Versuch, ihr zu folgen.
Fiona rührte in der Suppe, die sie als Abendessen für sich und ihre Schwester vorbereitet hatte. Dabei starrte sie gedankenverloren in den Dampf, der aus dem Topf aufstieg. Ab und zu wischte sie sich mit dem Handrücken über die Augen und redete sich ein, es läge an den Zwiebeln, dass ihr Tränen über die Wangen rollten.
Nachdem sie sich in einem der leeren Zimmer des oberen Stockwerks hastig angezogen hatte – und währenddessen halb hoffte und halb befürchtete, dass Aidan nach ihr suchte, um sie aufzuhalten –, war Fiona eilig die Treppe hinunter und durch die Halle ins Freie gelaufen. Sie kam sich vor wie auf der Flucht. Auf der Fluch vor der Liebe.
Draußen hatte Lillybeth sie begrüßt. Die Räbin saß auf einem Baum, wiegte sich von einem Bein aufs andere und klappte stumm den Schnabel auf und zu. Guten Morgen, Fiona. Gut geschlafen? Auch wenn die Worte nur in ihrem Kopf klangen, nahm Fiona doch deutlich die Ironie, die in ihnen mitschwang, wahr.
Ohne sich um den Vogel zu kümmern oder sich noch einmal umzudrehen, lief sie auf der schmalen Straße den Hügel hinunter. Sie war sicher, dass Aidan ihr aus einem der Burgfenster hinterherschaute. Sein Blick fühlte sich wie ein Pfeil in ihrem Rücken an. Vielleicht war es aber auch nur der Schmerz, den sie von nun an für immer mit sich herumtragen würde. Der Schmerz einer unerfüllten Liebe.
Sie wunderte sich nicht einmal, dass es sie nur einen kurzen, gemurmelten Satz und einen flüchtigen Gedanken kostete, Dawns Auto wieder in Gang zu bringen. Dann gab Fiona Gas, ohne auch nur einen Blick in den Rückspiegel zu werfen.
Lillybeth war ihr zum Haus gefolgt, hatte den ganzen Tag in der Nähe verbracht, saß nun auf dem kleinen Schrank am Fenster und pickte ab und zu in das Schälchen, in dem Fiona ihr ein wenig Obst und ein Stückchen Fleisch serviert hatte. Zwischendurch betrachtete die Räbin Fiona mit sorgenvollen Blicken. Jedenfalls bildete Fiona sich ein, dass Lillybeth kummervoll dreinschaute.
»Du kennst Dawn besser als ich, Lillybeth«, wandte Fiona sich an das beunruhigend stumme Tier. Sie musste mit irgendjemandem reden und Lillybeth war ihrer Meinung nach nicht die schlechteste Ratgeberin. Die Räbin war nicht einfach nur ein Tier – sie war ein Hexenvogel.
»Was täte Dawn wohl, wenn ich ihr erzählen würde, was zwischen Aidan und mir passiert ist?«, fragte Fiona ebenso sich selbst wie den Vogel.
Lillybeth schlug wild mit den Flügeln und krächzte schrill, bevor sie in das restliche Fleisch im Schälchen hackte. Sie sparte es sich, Worte in Fionas Kopf zu schicken. Das war auch nicht nötig.
»Ich weiß.« Seufzend legte Fiona den Deckel auf den Topf und ließ sich auf einen der Stühle am Küchentisch fallen.
Ihre Schwester würde jeden Moment kommen. Bis dahin musste sie eine Entscheidung treffen. Wenn sie es nicht sofort tat, würde sie es sicher gar nicht mehr wagen, mit Dawn zu reden. Dann würde ihr Geheimnis wie ein schwarzer Schatten zwischen ihr und ihrer Schwester stehen. Aber war es nicht vielleicht besser, wenn Dawn nichts von der Nacht auf der Burg erfuhr? Denn sie würde ihrer Schwester nicht den Mann wegnehmen, schwor Fiona sich. Auch nicht nach allem, was bereits passiert war.
Ohnehin konnte im Moment ja keine von ihnen beiden Aidan haben. Solange sie keinen Weg fanden, ihn von Catrionas Fluch zu befreien, konnte er nicht lieben. Weder sie noch Dawn.
Während ihre Gedanken sich im Kreis drehten, starrte Fiona unverwandt aus dem Fenster. Als sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm, fuhr sie herum und sah Catriona nur wenige Schritte von sich entfernt mitten in der Küche stehen.
Nie zuvor hatte sie den Geist ihrer Ahnfrau so deutlich erkennen können. Bisher war Catriona ihr immer als durchscheinendes graues Wesen erschienen, die Gesichtszüge verschwommen, wie hinter Nebelschwaden verborgen. Doch heute stand der Geist mitten im Sonnenlicht, das in die Küche fiel. Fiona konnte jede Falte in ihrem zerfetzten grauen Kleid erkennen. Den Schmutz an ihren nackten Füßen. Den Zorn und die Traurigkeit in ihren grünen Augen.
Es war, als würde sie sich selbst betrachten. Ihre eigenen Augen, in ihr eigenes Gesicht. Die Ähnlichkeit, die sie in diesem Moment erkannte, nahm ihr den Atem. Catriona war kleiner und ein wenig schmaler als sie, doch ihre Gesichtszüge, ihre Augen, ihr Mund, das dunkle Haar, das ihr auf die
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