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Geisterlicht: Roman (German Edition)

Geisterlicht: Roman (German Edition)

Titel: Geisterlicht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elaine Winter
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Schultern fiel, aber auch der Schmerz in ihren Augen – all das sah Fiona jeden Morgen im Spiegel. »Wie kann ich dir helfen?«, flüsterte sie.
    Vorsichtig machte sie einen Schritt auf Catriona zu. Ihr Herz klopfte laut und schnell. Hinter sich hörte sie Lillybeth kreischen, doch sie achtete nicht darauf, konzentrierte sich mit all ihren Sinnen auf die graue Frau, die ihr so sehr ähnelte.
    Mit unbewegter Miene und brennenden Augen erwiderte Catriona ihren Blick. Dann begannen ihre Lippen fast unmerklich, zu zucken. Als würde sie sich bemühen, sie zu öffnen und etwas zu sagen, um zum ersten Mal seit langer Zeit ihr Schweigen zu brechen. Denn aus irgendeinem Grund fühlte, wusste Fiona, dass Catriona seit ihrem grausamen Tod mit niemandem gesprochen hatte. Sie war Noreen im Traum erschienen, hatte in ihren Schlaf Gedanken und Bilder gesandt. Und sie hatte vor Wut und Kummer geschrien, als sie Arthur MacNaughtons Namen gehört hatte. Doch seit dieses Haus wieder aufgebaut worden und sie so viele Jahre nach ihrem Tod hier aufgetaucht war, hatte sie sich niemandem von Angesicht zu Angesicht offenbart.
    Fiona hielt den Atem an und wagte nicht, sich zu rühren. Hinter ihr schlug Lillybeth klatschend mit den Flügeln. Vielleicht wollte sie, dass Fiona ihr das Fenster öffnete, doch darum konnte sie sich jetzt nicht kümmern. Wenn sie sich bewegte, würde Catriona womöglich verschwinden, und dann war die Chance vertan.
    Als die Küchentür aufflog, zuckte Fiona zusammen und wandte erschrocken den Kopf. In einem Wirbel aus roten Locken und bunten Kleidern stürmte Dawn in die Küche.
    »Da bin ich wieder! Gott sei Dank. Die Kinder waren diesmal wirklich schrecklich! Die eine Hälfte hatte Heimweh, die andere Hälfte nutzte die Zeit, um all das zu tun, was zu Hause verboten ist. Was ist denn mit dir los, Fiona? Du bist ja ganz blass.«
    Fassungslos starrte Fiona dorthin, wo eben noch Catriona gestanden hatte. In der Luft war nur noch ein kaum wahrnehmbares rötliches Flimmern zu sehen, wie eine ferne Erinnerung an das Feuer, welches Catriona einst das Leben genommen hatte. Dann war auch dieser Schimmer fort.
    Nur mühsam gelang es Fiona, den Mund zu öffnen, so, als hätte sie selbst auch seit einer Ewigkeit nicht gesprochen. »Sie war eben noch da«, flüsterte sie mit heiserer Stimme. »Ich glaube, sie wollte mir etwas sagen.«
    »Wer? Catriona?« Dawn kam zu ihr und nahm sie in die Arme. »Sie kommt wieder. Sie war doch schon so oft hier.«
    Als sie den warmen, lebendigen Körper ihrer Schwester spürte, entspannte Fiona sich ein wenig. In ihren Haaren hatte Dawn den Duft der schottischen Hügel mitgebracht. Fiona roch Gräser, Moos, Sonne, Regen und Nebel.
    »Es war anders als sonst. Ich konnte sie ganz klar erkennen«, sagte sie leise, während Dawn zum Herd ging, um in den Topf zu schauen.
    »Das riecht aber gut«, stellte ihre Schwester fest, die sie offenbar nicht gehört hatte. »Die Mahlzeiten in der Jugendherberge waren furchtbar, und ich bin kaum zum Essen gekommen. Bei dem Sturm mussten die Kinder gestern den ganzen Tag drinnen bleiben. Du kannst dir nicht vorstellen, auf was für Ideen die kleinen Ungeheuer kommen, wenn sie Langeweile haben!« Sie lachte fröhlich auf und holte Teller und Löffel aus dem Schrank.
    Fünf Minuten später saßen sie am Tisch und löffelten die heiße Suppe. Lillybeth hockte hinter Dawn auf der Stuhllehne und stupste ihr ab und zu sanft mit dem Schnabel gegen die Schulter.
    »Sie hat dich vermisst«, stellte Fiona fest und spürte sofort ihr schlechtes Gewissen. Vielleicht wollte die Räbin Dawn etwas mitteilen? Wenn sie, Fiona, Dawn selbst sagen wollte, was gestern Nacht geschehen war, dann wäre jetzt der richtige Moment dafür. Sie durfte es nicht länger aufschieben, das würde alles nur noch schlimmer machen.
    Mühsam würgte sie die Gemüsestückchen hinunter, die sie im Mund hatte, atmete tief durch und sah ihrer Schwester über den Tisch hinweg in die Augen. »Ich muss dir etwas sagen.«
    Dawns Lächeln war so unbeschwert und fröhlich, dass es Fiona ins Herz schnitt.
    »Erst ich.« Dawn legte ihren Löffel weg und griff nach Fionas Hand. »Es war so schön, nach Hause zu kommen und zu wissen, dass du hier bist. Meine einzige Schwester, die ich so viele Jahre nicht gesehen habe. Nach Mims Tod fand ich es jedes Mal schrecklich, in dieses stille Haus zurückzukehren. Nun ja, es gibt hier einen Geist, aber Catriona ist nicht gerade gesprächig. Wenn ich Lillybeth nicht

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