Geisterzorn: Der Fluch von Lost Haven (German Edition)
Künstlerin.
Das war keine Überraschung, war doch das Gros der Einwohner gut betuchte Künstler. Lost Haven war kein Ort für ehemalige Banker, die sich in ihrem Ruhestand nach einen Ort sehnten, in dem einst Geister ihr Unwesen trieben. Um hier dauerhaft leben zu wollen, war es unerlässlich, und sei es auch nur latent, an die Spiritualität dieses Ortes zu glauben. Dieser Ort war für viele die Hoffnung, ihrer Kreativität auf die Sprünge zu helfen, sie gar erstmals zu entfachen oder einfach nur zu erhalten. In Wahrheit aber war Lost Haven für viele nur eine Sackgasse, aus der man schwer wieder herauskam. Oder stecken blieb. So wie ich.
Beverly war auch eine sehr spirituelle Person, jedoch nicht im religiösen Sinne. Als sie das erste Mal von Lost Haven gehört hatte, sei sie sofort verliebt gewesen. Sie glaubte an Geister und hatte vor allem deswegen beschlossen, hierher zu ziehen. Sie wollte unbedingt einmal einen Geist sehen, sagte sie mir einmal halb im Scherz.
Ich traf sie zum ersten Mal – wie sollte es auch anders sein – bei Beaver’s Books. Das war vor zwei Jahren.
Kaum hatte ich damals den Laden betreten, sprach mich Beverly auch schon an.
Ich war zunächst von ihrer offensiven und direkten Art, mit der sie auf mich zuging, etwas befremdet, da ich mir über ihre Absichten nicht im Klaren war. Aber nach einem kurzen Gespräch wurde deutlich, dass sie maximal an einem intellektuellen Gedankenaustausch interessiert war. Für mich seit langem endlich wieder eine reizvolle Herausforderung.
Beverly schrieb viel Poesie und Gedichte für Kinder. Über ihr früheres Leben wollte sie aber auf meine Nachfrage hin nicht sprechen. Ich konnte mir nämlich nicht vorstellen, dass man sich mit Gedichten ein Haus in Lost Haven finanzieren konnte. Die Immobilienpreise waren gepfeffert. Selbst nach dem Platzen der Immobilienblase.
Seither trafen wir uns öfter, meist im alten Café am Hafen und sprachen über ganz normale Dinge. Ich vertraute ihr soweit, dass ich ihr meine Situation erklärte. Ich erzählte ihr von meiner Scheidung und meiner Tochter, die ich nur alle paar Monate für ein paar Stunden zu Gesicht bekam. Ich beichtete ihr auch mein Alkoholproblem und die ungewöhnliche Art meines unfreiwilligen Entzugs. Beverly reagierte nicht mit übertriebener Anteilnahme oder falschem Mitleid. Sie unterließ es auch, mich zu kritisieren, sondern blieb vornehm zurückhaltend und enthielt sich eines Kommentars, der mich sowieso vermutlich nur wütend gemacht hätte. Ein Umstand, der mich sehr überraschte, hatte sie doch sonst stets zu allem und jedem eine Meinung. Sie akzeptierte mich so, wie ich war.
Wie gesagt, ich vertraute ihr.
2
Ich stieg in meinen Wagen und fuhr zur Ixwich Street. Ich hätte laufen können, wollte aber jetzt nicht mehr Zeit verlieren.
Es war schon erstaunlich, dass Beverly es fertig gebracht hatte, Peter davon zu überzeugen, mit uns beiden essen zu gehen. Und das auch noch an seinem Geburtstag! Ich hätte bei diesem Vorhaben bei ihm auf Granit gebissen, aber Beverly konnte ziemlich hartnäckig sein.
Weil ich nicht riskieren wollte, dass der Abend hässlich enden könnte, wollte ich Beverly vorher noch ein wenig instruieren. Dieses Essen widerstrebte Peter zutiefst, weil er es vorzog, allein zu bleiben.
Er sagte mir einmal, dass er gerne allein, nicht aber gerne einsam wäre.
Er trug, seit ich ihn das erste Mal kennen gelernt habe, immer einen Schatten in seinem Gesicht mit sich herum. Es war ein Schatten aus der Vergangenheit, der sich nicht lösen konnte. Ein Schicksalsschlag.
Vielleicht verstand kaum jemand besser als ich, dass es irgendwann einen Punkt gibt, an dem der Schmerz zu einem Teil von einem selbst geworden ist, und dass man sich nie wieder von ihm befreien konnte. Deshalb wusste ich auch, dass man Peter nicht in die Enge treiben durfte, und deshalb redeten wir nicht über unsere früheren Leben. Es war eine stumme Übereinkunft, die wir nie antasten würden. Nur auf diese Weise war unser Leben hier noch erträglich.
Das Ergründen und Erklären, das Begreifen und das Lernen mit dem Schmerz umzugehen, so wie man es in einer Therapie machen würde, war für uns keine Option mehr. Denn es änderte nichts daran, dass wir beide etwas verloren hatten, das einem niemand mehr zurückgeben konnte, ohne das wir aber beide nicht mehr vollständig waren. Sicher, wir konnten damit irgendwie weiterleben. Aber zwischen Leben und bloßem Weiterleben liegen Welten.
Ich
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