Geisterzorn: Der Fluch von Lost Haven (German Edition)
enttäuscht.
Wie konnte das passieren? Wie konnte das passieren? Wieso habe ich es nicht gesehen? Wieso habe ich es nicht verhindert?
»Wissen Sie, wie sie gestorben ist?«, fragte ich.
Mrs. Danvers stütze sich am Tisch ab. Die Aufregung hatte sie erschöpft. »Das konnte ich noch... Ich meine, ich weiß es nicht. Man munkelt, dass sie es mit Tabletten gemacht hat.«
Ich schwieg.
»Angeblich hatte Melissa noch einen älteren Bruder, der in New Jersey lebt. Soweit ich weiß, soll sie dort auch beerdigt werden. Im engsten Familienkreis.«
Ich blieb stumm.
Mrs. Danvers machte Anstalten, zu weiteren Gerüchten Stellung zu nehmen, hielt dann jedoch überraschend inne.
Und für einen Moment, in dem sie mein Schweigen duldete, glaubte ich ein wenig Mitleid bei ihr zu spüren. Sie hatte wohl nicht erwartet, dass ich so heftig auf die Nachricht reagieren würde. Vielleicht war ich der Erste, den sie so bestürzt erlebt hatte. Für einen Moment war sie keine intrigante, fette Schlampe. Für einen Moment der Stille blickten unsere beiden Augen aneinander vorbei ins Leere, und wir erinnerten uns an eine junge, wunderhübsche Frau, die nicht hätte sterben dürfen. Gemeinsam überfiel uns die schockierende Erkenntnis, dass von Melissa nichts anders übrig bleiben würde als ein paar Erinnerungen.
Wie gesagt, nur für einen Moment. Danach kehrte die alte Mrs. Danvers zurück – und biss zu.
»Das musste ja irgendwann so kommen. Davon war ich immer überzeugt«, sagte sie.
Ich sah sie scharf an. »Wie kommen Sie dazu, so etwas zu behaupten?«
»Machen wir uns nichts vor, Mr. Rafton. Lost Haven ist kein Ort für so ein junges Mädchen wie Melissa es war. Die jungen Leute, die als Touristen hier sind, kommen und gehen. Aber niemand von denen bleibt. Dieser Ort macht einen melancholisch, wenn man hier zu lange verweilt. Das betrifft gerade so beeinflussbare Menschen wie Melissa. Nicht umsonst hat Lost Haven ein überdurchschnittlich hohe Suizidrate in Neu England.
Melissa ist in dieser dunklen Bücherstube verwelkt. Und ihr Vater hat einfach zugesehen. Das sage ich!«
So sehr ich Mrs. Danvers auch verabscheute; sie sprach die Wahrheit. Ich konnte ihr nicht widersprechen.
»In gewisser Weise trägt Mr. Beaver eine gehörige Portion Mitschuld an ihrem Tod. Glauben sie mir, Mr. Rafton, ich bin nicht die Einzige, die das denkt. Sollte der alte Mann seinen Laden wieder öffnen, wird er seines Lebens nicht mehr froh. Wer will denn nach dieser Sache noch dort einkaufen?«
O ja. Mrs. Danvers war gut. Sie war sehr gut. Fast hätte sie es geschafft, mich zu überzeugen und mich in ihr Intrigennetz einzuspinnen.
Es wurde Zeit, dass ich ging, solange ich es noch konnte.
»Vielen Dank Mrs. Danvers für Ihre Zeit. Ich werde bestimmt bald wieder hier vorbeischauen.«
»Warten Sie, Mr. Rafton!«
Ich stand immer noch vor der Theke. Sie robbte sich auf der anderen Seite an mich heran und beugte sich weit zu mir vor.
»Ich weiß, das ist jetzt vielleicht nicht der richtige Zeitpunkt, aber wissen Sie, es gibt da so ein paar Gerüchte über Sie.«
»So? Was denn?«
»Och, nicht Schlimmes, nichts Schlimmes. Man hat Sie in letzter Zeit oft mit Mrs. Stevens zusammen gesehen. Sie soll sogar bei Ihnen übernachtet haben, sagt man.« Mrs. Danvers Blutdruck schoss in die Höhe, so dass sie ein hochrotes Gesicht bekam.
»Und?«, fragte ich zornig.
»Nun ja, da habe ich gedacht... Ich habe gedacht – nicht dass Sie das falsch verstehen. Aber ich habe mich gefragt, ob Sie und Mrs. Stevens jetzt vielleicht ein Paar sind. Ich weiß ja, es geht mich nichts an, aber ich dachte, fragen kann man ja mal.«
Ich sah Mrs. Danvers in ihr glänzend rundes Gesicht. Sie atmete schwer ein und aus.
»Mir können Sie es doch sagen, Mr. Rafton«, fügte sie hinzu.
Sie hatte begonnen, furchtbar zu schwitzen und musste sich die Stirn mit einem Taschentuch abwischen.
»Ich erzähle es auch niemandem weiter«, sagte sie.
Tränenflüssigkeit brachte ihre Augen zum Glänzen
»Ist doch keine große Sache.«
Speichelbläschen bildeten sich in ihren Mundwinkeln.
»Mir können Sie es doch sagen!«
Der Geruch von süßem Schweiß drang in meine Nase. Mir fiel das Atmen schwer.
»Ich verrate es auch niemandem!«
Ich hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Ich musste hier raus.
Jetzt!
Musste mich befreien, bevor ich erstickte.
Ich schnüffelte übertrieben und rümpfte die Nase.
»Sagen Sie, riecht es hier nach Donuts?«, fragte ich sie
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