Geisterzorn: Der Fluch von Lost Haven (German Edition)
mich dagegen kein Grund zur Sorge. Wenn der Poltergeist kommen würde, so nahm ich an, dann würde er erneut durch die Tür kommen. Das Fenster war mein Fluchtweg, folglich musste es geöffnet sein.
So lag ich da und schaute zur Tür. Ich wartete auf die Konfrontation, die in der Realität und im Traum in jener Nacht aber nicht stattfand.
Das Unheil sollte durch das Fenster kommen. Und es war weder der Poltergeist, noch nahm ich die folgende Erscheinung als bedrohlich war.
Ein kühler Luftzug begann, durch das Fenster zu strömen. Ich bekam eine Gänsehaut, sah aber weiterhin keinen Anlass zur Beunruhigung. Die Luft am Fenster begann zu flimmern. Völlig harmlos.
Mein Blick fiel auf den Radiowecker, links neben mir. Auf dem digitalen Ziffernblatt stand: 'JA:CK'
Wie gebannt schaute ich den Luftverwirbelungen zu und empfand dabei eine seltsame Faszination. Die Erregung infolge dessen, was da kommen würde, war ungeheuerlich stimulierend.
So als sitze man vor dem Fernseher, in dem die Ziehung der Lottozahlen übertragen wurde, und wo erst eine, dann zwei und dann nacheinander wieder und wieder die richtige Zahl gezogen wurde.
Eine gefühlte Ewigkeit blieb ich gebannt in diesem Zustand. Dann veränderte sich das Flimmern. Es wurde intensiver. Es entwickelte sich regelrecht zu einem kleinen Wirbelsturm, der sich immer schneller drehte und sich dann ohne Ankündigung auf mich zubewegte.
Der Wirbel flog lautlos direkt über mich und verharrte dort. Ich verspürte dabei nicht den geringsten Lufthauch. Es war, als befände ich mich in einem Vakuum.
Dann vernahm ich ein extrem leises Flüstern.
»Ich verstehe nicht«, sagte ich in meinem Traum.
Das Flüstern wurde lauter. Es kam aus dem Wirbel.
»Ich kann dich nicht verstehen«, wiederholte ich.
»JACK«, drang eine Stimme aus dem Wirbel hervor.
»JACK.«
»Wer bist du?«, fragte ich.
Keine Antwort.
»JACK.«
»Ich bin es. Aber wer bist du? Was willst du von mir?«
»JACK.«
»Was willst du? Du musst es mir sagen! Offenbare dich mir!«, rief ich.
Plötzlich drückte mich eine kalte Druckwelle ins Bett. Der Wirbel strahlte in einem gleißend weißen Licht und schwoll rasch an.
»JACK«, dröhnte es in meinen Ohren.
Es dauerte nicht lange, da war ich in dem weißen Nebel eingehüllt. Ein Blitz blendete mich, und zwang mich, die Augen zu schließen. Dann folgte ein Knall, der mich reflexartig die Augen wieder öffnen ließ.
Über mir schwebte der Geist von Melissa.
Sie war nicht mehr als eine transparente Silhouette. Halb verschmolzen mit der Dunkelheit, erkannte ich nur Konturen, die aus purem Mondlicht zu bestehen schienen.
Sie war genauso, wie ich mir immer den perfekten Geist vorgestellt habe. Eine transzendente Erscheinung, betörend schön und entsetzlich zugleich.
Ihre Augen schauten auf mich hinab. Ich fröstelte.
Ich wollte sprechen, aber es fiel mir schwer, so als sei mein Mund gelähmt.
»Melissa?«, brachte ich schließlich zustande.
Der Geist, in seiner schwebenden Haltung verharrend, hielt sich den halb durchsichtigen Zeigefinger vor die silbernen Lippen.
»SCHHHH!«, hörte ich.
Ich spürte, dass ich mich nicht mehr bewegen konnte. Ich wollte wieder etwas sagen, aber es gelang mir nicht. Ich war diesem Geist ausgeliefert. Ich durfte nur sprechen, wenn Melissa es zulassen würde.
»DU SIEHST MICH NICHT«, sagte die tote Stimme von Melissa.
Jetzt war mir das Sprechen wieder erlaubt:
»Was? Ich verstehe nicht, was du meinst.«
»DU SIEHST MICH NICHT.«
»Doch, ich kann dich sehen, Melissa. Hörst du? Ich kann dich sehen und ich kann dich hören. Sag mir doch, was du von mir willst!«
Diesmal streckte der Geist seinen Arm aus und legte den Zeigefinger auf meine Lippen. Es fühlte sich an wie Eis.
»SCHHHHH!«
Melissa streckte auch den anderen Arm aus. Mit beiden Händen griff sie nach den Bügeln meiner Brille.
Behutsam strich sie meine Sehhilfe vom Gesicht. Ich kniff die Augen zu.
Panisch aber bewegungsunfähig musste ich es über mich ergehen lassen.
Die Brille verschwand von meiner Nase.
Vorsichtig öffnete ich wieder die Augen.
Melissa hatte sich verändert. Entgegen meiner Erwartung sah ich sie klar und gestochen scharf vor mir. Und nicht nur das: Sie bestand jetzt nicht mehr nur aus Licht und Schatten. Ich konnte sie auf eine Weise sehen, die dem menschlichen Auge unter normalen Umständen unmöglich gewesen wäre. Ich nahm die verschiedensten Farbspektren wahr, die sich ständig veränderten. Millionen von Koronen aus
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