Gejagt
rot und wund aus. Ich ließ die Schultern kreisen. Nein, richtig weh tat sie nicht mehr. Nur wenn man sie berührte, fühlte sie sich empfindlich und weich an. Und sie war hässlich. So richtig hässlich.
Ich brauchte mir nur vorzustellen, wie jemand (sei es Stark oder Erik oder von mir aus auch Heath – egal) diese Narbe zu sehen kriegte, schon hätte ich in Tränen ausbrechen können. Vielleicht sollte ich einfach nie mehr mit einem Typen zusammen sein. Dann wäre mein Leben sicher auch um einiges weniger kompliziert …
Da sagte Lenobia: »Einer Narbe, die im Kampf gegen das Böse erworben wurde, liegt immer eine ganz eigene Schönheit inne.«
Ich fuhr zusammen. Sie stand dicht neben mir. Ich hatte sie überhaupt nicht herankommen hören. Ich betrachtete sie genau. Sie war perfekt und völlig narben
los
und wunderschön. »Hört sich theoretisch gut an, aber wenn man selber die Narbe hat, ist die Praxis nicht ganz so toll.«
»Ich weiß, wovon ich spreche, Priesterin.« Sie schob den Vorhang ihres Haars über eine Schulter, drehte sich so, dass ich ihren Nacken sehen konnte, und zog mit der anderen Hand den Kragen ihrer weißen Bluse nach unten. Und ich erblickte eine schreckliche, dicke und ausgefranste Narbe, die aus ihrem Haaransatz über ihren Nacken bis weit ihren Rücken hinunter lief.
»Okay! Alles voll elementar hier drüben!«, rief Erin.
»Ja. Auf in den Kampf«, fügte Shaunee hinzu.
»Also, was gibt’s Neues?«, fragte Damien.
Lenobia und ich wechselten rasch einen Blick. »Ich erzähle es dir ein andermal«, sagte sie leise. Während ich ihr zurück zu meinen Freunden folgte, fragte ich mich, gegen welche Art Böses sie wohl gekämpft haben mochte, das solche scheußlichen Narben hinterließ.
»Zoey hat die Personen bestimmen können, die in dem Gedicht gemeint sind«, sagte Lenobia ohne langes Drumherum. »Ebenso den Ort der Macht, wo diese sich versammeln müssen.«
Alle sahen mich an.
»Im Benediktinerinnenkloster. Mir ist wieder eingefallen, dass ein Grund dafür, warum Schwester Mary Angela nicht total entsetzt darüber war, dass ich die Elemente beherrschen kann, darin lag, dass sie schon selbst die Macht der Elemente gespürt hat. Sie sagte, ihr Kloster liege an einem Ort spiritueller Macht. Bisher hab ich nicht groß darüber nachgedacht.« Ich verstummte und lachte leise. »Eigentlich hab ich sie gar nicht besonders ernst genommen und dachte, sie wär nur nonnenhaft esoterisch verrückt.«
»Zu deiner Verteidigung sollte gesagt werden, dass sie schon ein bisschen exzentrisch ist«, sagte Aphrodite.
Darius nickte. »Für eine Nonne auf jeden Fall.«
»Außerdem ist sie der Geist in dem Gedicht«, sagte ich.
Damien grinste anerkennend. »Okay, du hast es also wirklich rausbekommen! Wer sind die anderen Personifikationen?«
»Blut ist Stevie Rae.«
»Man ist, was man isst«, brummte Aphrodite.
»Und du bist Menschlichkeit«, erklärte ich ihr unbeirrt und krönte die Ankündigung mit einem breiten Grinsen.
»Na toll. Super. Nur schon mal fürs Protokoll:
Ich werde mich nicht mehr beißen lassen. Nie wieder.
Punkt, aus.« Dann sah sie zu Darius auf, und ihre Miene änderte sich. »Außer von dir, mein Schönster.«
Die Zwillinge husteten übertrieben.
Ich ignorierte sie alle. »Erde ist meine Grandma.«
»Nur gut, dass die schon im Kloster ist«, sagte Damien.
»Was ist mit Nacht?«, fragte Shaunee.
»Das ist Zoey«, sagte Aphrodite.
Ich sah sie fragend an.
Sie verdrehte die Augen. »Wer soll’s denn sonst sein? Das kann sich doch jeder denken, der nicht debil ist oder sich das Hirn mit jemand anderem teilen muss.« Sie warf Damien und den Zwillingen einen betonten Blick zu.
»Okay, stimmt, Nacht bin ich«, sagte ich.
»Wir müssen also zur Benediktinerabtei.« Wie immer kam Darius gleich zum Kern der logistischen Seite unserer ›Operation‹. Das ›Operation‹ steht in Anführungszeichen, weil ich die meiste Zeit das Gefühl hatte, nur hilflos herumzurudern, in der Hoffnung, dass sich die Dinge irgendwie ins Lot bringen lassen würden und ich nicht restlos alles vermasselte. Und das ist nicht gerade eine wirkliche Operation.
»Ja, und zwar schnell, ehe Kalona und Neferet hier noch mehr Schaden anrichten«, sagte Lenobia.
»Oder einen Krieg gegen die Menschen anfangen«, sagte Aphrodite.
Jeder außer Darius starrte sie an. Und während ich sie anstarrte, durchdrang mein Blick ihre perfekte Fassade und den Anschein von Unerschütterlichkeit, den sie sich
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