Gejagt
hinzu: »Sag mal, du hast auf dem Weg hierher nichts, äh, Seltsames in den Tunneln bemerkt?«
»Seltsam? Inwiefern?«
Ich wollte nicht ›Finsternis‹ sagen – schließlich war es nicht gerade seltsam, wenn Tunnel finster waren. Außerdem konnte ich schon wieder hören, wie er mich damit aufzog, dass ich mich vor den Fledermäusen erschreckt hatte. Also sprudelte ich heraus: »Zum Beispiel Laternen, die plötzlich ausgehen.«
Er schüttelte den Kopf. »Nee, aber so seltsam finde ich das nicht. Bei diesen Laternen muss man ständig Öl nachfüllen, und ich würde mal vermuten, dass angesichts der letzten Ereignisse die roten Jungvampyre das wohl vergessen haben.«
»Hm, klingt plausibel.« War es ja auch. Einen ganz kurzen Augenblick lang ergab ich mich einer Woge der Erleichterung, von der ich tief drinnen wusste, dass sie nicht berechtigt war, und lächelte Erik an. Er lächelte zurück. Und so standen wir einen Moment lang da. Ich rief mir ins Gedächtnis zurück, was für ein toller Freund Erik war. Wie ich mich gefreut hatte, wieder mit ihm zusammen zu sein. Und ich freute mich immer noch. Oder? Konnte ich nicht einfach glücklich und zufrieden sein und mir das Schöne zwischen uns nicht durch die blöde Angst vermiesen lassen, dass er mehr von mir wollen könnte, als ich im Augenblick geben konnte?
Noch tiefer in meinem Bewusstsein schob ich Starks Kuss beiseite ebenso wie Kalonas Albtraumbesuch und wie er mich dazu gebracht hatte, Dinge zu fühlen, die ich nie auch nur annähernd gefühlt hatte.
Hastig klappte ich mein Handy auf. »Ich muss jetzt Schwester Mary Angela anrufen.«
Erik warf mir einen erstaunten Blick zu, sagte aber nur: »Okay, stell dich ein Stück dort rüber, aber geh nicht zu nahe an die Tür. Falls draußen jemand ist, sollte er dich besser nicht hören.«
Ich nickte und warf ihm ein Lächeln zu, von dem ich hoffte, dass es nicht zu schuldbewusst aussah. Dann wanderte ich ein Stück in den Keller hinein, der, wie ich jetzt bemerkte, auch längst nicht mehr so eklig wirkte wie beim letzten Mal. Stevie Rae und ihre Leute hatten offenbar massiv aufgeräumt und eine Menge von dem Gerümpel weggeworfen, das von Pennern hier reingeschleppt worden war. Und erfreulicherweise roch es auch nicht mehr nach Pisse – das war definitiv eine Verbesserung.
Ich wählte Schwester Mary Angelas Nummer und kreuzte in Gedanken die Finger, während das Display die Verbindung aufbaute … und aufbaute … und dann tutete es wirklich und wahrhaftig, einmal, zweimal, dreimal … Mein Magen fing schon an zu schmerzen, da wurde abgenommen. Die Verbindung war bescheiden, aber immerhin verstand man etwas.
»Oh, Zoey! Wie gut, dass du anrufst!«, rief Schwester Mary Angela. »Ist bei Ihnen alles okay, Schwester? Was ist mit Grandma?«
»Ihr geht es gut … alles gut. Wir sind …« Die Verbindung wurde rapide schlechter.
»Schwester, ich höre Sie kaum. Wo sind Sie? Ist Grandma aufgewacht?«
»Grand … ist aufgewacht. Wir sind unter dem Kloster, aber …« Eine Sekunde lang hörte ich nur Rauschen, dann war ihre Stimme plötzlich ganz klar. »Hast du etwas mit diesem Wetter zu tun, Zoey?«
»Ich? Nein! Was ist mit Grandma? Sind Sie alle sicher im Klosterkeller?«
»… sicher. Keine Sorge, wir …«
Und die Verbindung brach ab.
»Mist! Blöde Scheißverbindung!« Ich versuchte es eilig noch einmal und stapfte dabei frustriert durch die Gegend. Nichts. Das Netz war da, aber auf dem Display stand nur, dass keine Verbindung zum Empfänger möglich sei. Ich versuchte es noch ein paarmal, bis ich nicht nur allmählich die Hoffnung aufgab, sie noch mal dran zu bekommen, sondern auch bemerkte, dass der Akku gleich den Geist aufgeben würde. »Mist!«, schimpfte ich noch einmal.
Erik kam zu mir herüber. »Was hat sie gesagt?«
»Nicht viel, weil die Verbindung viel zu schnell weg war und ich sie einfach nicht wiederkriege. Aber ich hab noch gehört, wie sie sagte, dass alles okay sei. Grandma auch. Ich glaube, sie ist sogar aufgewacht.«
»Das ist doch super! Mach dir keine Sorgen; alles wird gut. Die Nonnen haben deine Grandma in einen Keller in Sicherheit gebracht, oder?«
Ich nickte. Irgendwie war ich dummerweise den Tränen nahe, aber mehr aus Wut als aus Sorge um Grandma. Ich vertraute Schwester Mary Angela vollkommen. Wenn sie also sagte, es gehe Grandma gut, dann glaubte ich ihr. »Ich hasse es, wenn ich nicht weiß, was abgeht. Nicht nur bei Grandma, sondern überhaupt da draußen.«
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