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Gekapert

Titel: Gekapert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nuruddin Farah
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der Dieb!« –, und ein weiterer Mann und noch einer stimmten in den Chor mit ein. Bevor der Läufer den Bus erreichte, hatte ihm ein vierter ein Bein gestellt. Die Umstehenden verwandelten sich in einen Mob, stürzten sich auf den Mann und verprügelten ihn. Bis die Polizei kam, hatte ein Fußtritt den Mann seine Vorderzähne gekostet, und sein Geldbeutel und seine Papiere waren verschwunden.
    Aber hier geschieht nichts dergleichen. Die Verkehrslage entspannt sich, und sie fahren weiter.
    »Sag mir ehrlich, was du von meinem Plan hältst«, bittet Malik.
    »Was soll es bringen, Vollbart unnötig zu provozieren«, gibt Qasiir zur Antwort. »Opa, der ihn sein ganzes Leben lang gekannt hat, riet mir stets, ihm aus dem Weg zu gehen.«
    »Er hat mir den ersten Tag meines Aufenthalts hier vermiest, und ich könnte es mir nicht verzeihen, wenn ich den Fluß seines Lebens nicht zumindest ein bißchen stören und dann darüber schreiben würde«, sagt Malik.
    Er findet Bürgerkriege sind eine Beleidigung des gesunden Menschenverstands, und da Qasiir nur den Bürgerkriegszustand kennt, in dem Dreistigkeit und Unverfrorenheit herrschen, begreift er vielleicht auch nicht, warum es wichtig ist, Vollbart am Tag nach der Vertreibung der Union zu sehen. Nicht nötig zu wiederholen, daß Vollbart im alten System, als die Union noch das Sagen hatte, sowohl als Zöllner diente als auch einen Computerladen führte. Er entspricht Maliks Vorstellung eines bestechlichen Bürokraten der Union, auch wenn ihm der Gedanke kommt, daß es neben jenen, die nur an ihrem eigenen Profit interessiert waren, auch ein Grüppchen wohlmeinender, fleißiger, ehrlicher Menschen gegeben haben muß.
    »Hoffentlich treffen wir ihn im Laden an«, sagt Malik.
    »Hoffentlich nicht«, sagt Qasiir.
    »Glaubst du, es ist gefährlich, mit ihm zu reden?«
    »Nicht sofort«, antwortet Qasiir.
    »Aber irgendwann würde uns die Gefahr einholen.«
    »Könnte sein«, sagt Qasiir.
    Trotzdem schreckt die Warnung Malik nicht ab. Vielleicht will er sich für das entgangene Interview mit DerScheich entschädigen. Es gab eine Zeit, in der er machte, was ihm gefiel. In jüngeren Jahren, als er noch ohne Frau und Kind war, hatte er den Reiz der Gefahr geliebt. »Wir sind Vater geworden«, sagte er, als sein Kind geboren wurde, und ein Lächeln umspielte seine Lippen. Kriegsberichterstatter sollten eigentlich keine Familie haben, weil sie sonst ihren Beruf nicht mehr ohne Angst ausüben können. Tun Journalisten nicht genau das, wenn sie über Kriege berichten – ihr Leben aufs Spiel setzen? Malik fällt Karl Kraus ein, der diesen Reporterschlag »Helden der Zudringlichkeit« nannte. Ist der zudringliche, wißbegierige, gefahrensuchende Journalist an irgendeinem Ort der Welt auffälliger als in Somalia? Ja, wir sind Vater geworden.
    »Wir müssen uns einfach vor Vollbart in acht nehmen. Das ist alles«, sagt Qasiir und stößt rückwärts in eine freigewordene Parklücke.
    Sie brauchen länger als nötig, um zum Computerladen zu gelangen, auch weil Qasiir, der ganz klar gegen das Treffen ist, herumtrödelt. Qasiir ist in seinem Innersten kein Held. Er ist nicht mutig genug, um Malik direkt zu widersprechen, denn er weiß, daß er seinem Großvater gegenüber Verantwortung trägt und dieser verärgert wäre, wenn er Malik verärgerte. Zudem fällt ihm ein, daß Dajaal das militaristische Motto »Befehle von oben sind Befehle von oben, denen gehorcht werden muß« mochte. Er bleibt dicht neben Malik, der darüber sinniert, daß das Leben hier auf Treibsand gebaut sei. Im einen Moment noch am Leben, im nächsten tot und von einem Augenblick auf den anderen beerdigt, ohne auch nur einen Vermerk in einem Verzeichnis.
    Das Geschäft ist gut besucht. Als die Reihe an Malik und Qasiir ist, sagt Malik, er wolle mit Vollbart sprechen. Bei der Erwähnung des Namens verstummen die Angestellten abrupt. Ein großer, hagerer Mann löst sich aus der Menge.
    »Warum wollen Sie ihn sprechen?« fragt er Malik.
    »Vor ein paar Tagen kaufte ich hier einen Laptop, und er funktioniert nicht richtig. Der Geschäftsführer sagte, wenn es ein Problem gäbe, könnte ich jederzeit kommen und mit ihm persönlich sprechen.«
    »Wo ist der Laptop?« fragt der Mann.
    Aber Malik wiederholt nur: »Ist Vollbart da?«
    Der Mann steht wie erstarrt da, als dächte er über Maliks Anliegen nach, und dann ist er lange Zeit verschwunden. Mittlerweile leert sich das Geschäft, und einer der jüngeren Verkäufer stellt

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