Gekapert
sich zwischenzeitlich anders hingesetzt, dabei unbeabsichtigt einen seiner Hausschuhe abgestreift, fischt ohne hinzusehen mit den Füßen danach, stößt ihn nur noch weiter weg. Schnell steht Malik auf und bringt Bile den Schuh, der sich außerhalb seiner Reichweite befindet.
»Danke«, sagt Bile.
Malik spricht ihm sein Beileid zu Dajaals Tod aus, und Bile stammelt eine fast unhörbare Entgegnung. »Ich bin nutzlos und lebe, er war sehr wertvoll und ist tot. Unser Volk neigt dazu, sich selbst zu zerstören.«
»Zu mir war er ganz wunderbar und großzügig«, sagt Malik.
Bile erkundigt sich nach Maliks Artikeln, der Recherche und den Interviews, ob es mit Qasiir bisher gut läuft. Maliks positive Antwort erfreut Bile, und er trinkt auf das Wohl aller.
»Wir möchten, daß du zu uns ziehst«, sagt Bile, »jetzt da die Zweizimmerwohnung ihren problematischen Bewohner losgeworden ist.«
»Ja genau, was ist eigentlich aus Robleh geworden?« fragt Malik.
»Er ist weg«, antwortet Cambara.
»Hinfort mit Schaden, wenn ihr meine Meinung wissen wollt«, bemerkt Bile.
»Er wird schon noch bekommen, was er verdient«, meint sie.
»Er hat uns nur Ärger gemacht«, sagt Malik.
»Und trotzdem wollte Cambara ihn nicht rauswerfen«, ergänzt Bile.
Malik will gerade das Thema wechseln, als sie in der Nähe eine weitere Bombe explodieren hören, die das Haus erzittern läßt. Aber Bile will nicht vom Thema ablassen, beharkt es mit rachsüchtiger Gehässigkeit. Inmitten fallender Bomben wandern wir alle am Abgrund entlang, denkt Malik, auch weil Dajaals Tod uns die eigene Sterblichkeit vor Augen geführt hat.
»Robleh hatte die Angewohnheit, aus den Moscheen Neubekehrte mit nach Hause zu nehmen und ihnen in unserer Anwesenheit mitzuteilen, er habe uns oft geraten, ›das Gelübde abzulegen‹«, sagt Bile, »eine von vielen Lügen, eine, die er nicht von sich zu geben wagte, wenn wir allein waren. Wenn ich gekonnt hätte, hätte ich den Dummkopf umgebracht.«
Einen Augenblick lang ähnelt Cambara einer Katze, die eine Schlange fixiert, und gibt ein Zischen von sich. Dann fällt ihr ein, daß sie noch in der Küche zu tun hat, und sie verläßt sichtlich verärgert das Zimmer. Malik ist überzeugt, daß er noch weitere Geschichten über Robleh hören wird. Er würde gern ein Thema aufgreifen, das ebenfalls mit der aktuellen Lage zu tun hat: Somalier, die einen ausländischen Paß besitzen und das Land wegen des äthiopischen Einmarsches verlassen. Ihm schwebt ein Artikel vor, der darüber informiert, wie es ihnen an der kenianischen Grenze ergeht, und er ist betrübt, daß er das Thema momentan nicht verfolgen kann. Aber vielleicht findet Qasiir ja jemanden, den er interviewen kann.
Cambara serviert ein leichtes Gericht, eine klare Suppe mit Zitronengras und Garnelen. Sie essen sie direkt dort, wo sie sitzen, balancieren den Teller auf dem Schoß, Biles steht auf einem Tablett. Beinahe geräuschlos essen sie die Suppe, nicht einmal ein Löffelklirren ist zu hören. Währenddessen treibt Malik ein Gedanke um.
»Eigentlich wollte ich über Dajaal reden«, sagt er.
»Und was genau?« fragt Bile.
»Bevor Jeebleh abreiste, beschlossen er und ich, daß wir Dajaal ein Jahr lang eine Art monatliches Honorar bezahlen. Jetzt, da er ermordet wurde, weiß ich nicht, was ich machen soll. Ich hätte Qasiir fragen können, aber es wäre hilfreich, die Meinung von jemandem zu hören, der nicht direkt zur Familie gehört.«
»Was willst du denn wissen?« fragt Bile.
»Hatte Dajaal Familie, der das Geld zugute kommen könnte?«
»Wir waren seine Familie«, erwidert Bile, als wollte er einer Diskussion zuvorkommen. »Und zerbrich dir wegen des Geldes nicht den Kopf.«
»Aber ich bin ihm das Geld trotzdem schuldig.«
»Du bist unser Gast, mach dir mal keine Sorgen«, sagt Bile.
»Jeebleh und ich ...«, fängt Malik an und verstummt.
»Bitte«, sagt Bile.
Cambara dreht sich zu ihm. »Wir sollten ihn anhören.«
»Du hältst dich da raus«, sagt Bile bestimmt.
So wie der Hirte ausführlich über seine Kamele spricht, Don Giovanni über seine Eroberungen, der Staatsmann über seinen politischen Spürsinn, besteht bei Menschen wie Bile und Cambara, die nur Konflikte kennengelernt haben und denen es an Ablenkung mangelt, die Gefahr, daß sie sich gegeneinander wenden, denkt Malik. Wieder wechselt er das Thema, in der Hoffnung, einen Streit zu vermeiden.
»Wie habt ihr euch eigentlich kennengelernt, du und Dajaal?« fragt er
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