Gekapert
Schließlich fragt er langsam: »Wann hast du ihn gesehen?«
»Er und ich, wir haben gemeinsam im selben Truppenkontingent gedient, wir waren in einem Trainingslager in der Nähe von Kismayo.«
»Wie ging es ihm, als du ihn zum letzten Mal gesehen hast?«
»Abgesehen von den Problemen, die er mit den Augen hatte, gut. In der ersten Woche nach der Ankunft ging seine Brille kaputt.«
»Und wann und wo hast du ihn zum letzten Mal gesehen?«
»Daran kann ich mich nicht erinnern. Wir wechselten ziemlich häufig den Standort, zogen von einem Lager zum nächsten und wieder zurück, schliefen irgendwo und dann ging’s im Morgengrauen nach dem Fadschr weiter.«
»Aber sonst geht es ihm deiner Meinung nach gut?«
»Er hat noch ein paar persönliche Probleme, die ihn in Schwierigkeiten gebracht haben, auf die er gut hätte verzichten können.«
»Und zwar?«
»Er läßt sich leicht ausbeuten.«
»Inwiefern?« hakt Ahl nach.
»Bitte keine weiteren Fragen«, sagt Saifullah, »denn ich bin nicht befugt, darüber zu reden.«
Als er sich wie zum Gehen umdreht, sagt Xalan: »Wie wär’s mit einem Teller Spaghetti Bolognese? Faai wird das gern zubereiten.«
Xalan erklärt, daß Saifullah ihr Hausmädchen Faai seit seiner Kindheit kennt und er ihr Liebling ist, den sie mit Delikatessen und Süßigkeiten vollgestopft hat.
Saifullah ist begeistert. »Wo hast du sie denn aufgestöbert?«
»Hier in Bosaso, in einem Flüchtlingslager«, erwidert Xalan. »Sie wohnte in einer Bretterbude; wir haben sie nur durch Zufall gefunden.«
»Ach, wie ich ihre Bolognesesauce geliebt habe!«
»Sie hat gerade welche gemacht, wenn du magst, kannst du gern etwas essen.«
»Zuerst Tee, mit jeder Menge Zucker«, sagt Saifullah.
»Dann Spaghetti mit Faais Bolognese?«
»Kann ich mich irgendwo mal kurz hinlegen?« fragt er.
»Oben im Gästezimmer.«
Er ist gerade im Begriff nach oben zu gehen, da kommt Faai ins Wohnzimmer, die Hände in den Schürzentaschen. Sie starrt Saifullah an, dann Xalan.
»Schau ihn dir an, unseren Ahmed«, sagt Xalan.
Saifullah macht sich nicht die Mühe, sie zu korrigieren. Statt dessen macht er einen großen Schritt auf das Dienstmädchen zu, das ihn zunächst nicht erkennt. Dann geht ein Strahlen über ihr Gesicht, und er hebt sie mit einer herzlichen Umarmung hoch. Sie sind ein komischer Anblick, er doppelt so groß wie sie, sie doppelt so umfangreich wie er. Als er sie losläßt, greift sie nach seinen schmalen Handgelenken, legt dann die Hände auf seine eingefallenen Wangen.
»Schau dich bloß mal an – warst du denn auch in einem Flüchtlingslager? Dünn wie eine Bohnenstange bist du!«
Xalan wechselt hastig das Thema, sie möchte Saifullah nicht verärgern oder in die Flucht schlagen. Aber Faai ist beharrlich. »Wo kommst du denn her? Doch nicht aus einem Gefangenenlager, wo die Insassen nichts Ordentliches zu essen bekommen?«
»Mir geht’s eigentlich ganz gut«, sagt Saifullah.
»Das ist das reinste Wunder«, heult Faai.
Ahl ist Faais Meinung, schweigt aber.
»Ahmed war der Name deines Großvaters väterlicherseits«, sagt Xalan an Saifullah gewandt, »und der Name deiner Großmutter mütterlicherseits war Rashid, zwei schöne muslimische Namen. Warum hast du sie aufgegeben?«
»Der Name paßt perfekt zu mir«, antwortet er.
Faai umklammert ihn noch heftiger, sagt ein paarmal seinen früheren Namen, bis ihr die Tränen über die Wangen laufen. »Was für eine Art Name soll Saifullah eigentlich sein?«
Niemand antwortet und alle sehen sie an, als hätte sie einen unverzeihlichen Fauxpas begangen.
»Ich bin müde, ich leg mich hin«, sagt Saifullah.
»Dein Körper braucht Nahrung«, widerspricht Xalan.
»Also gut, wo sind die Spaghetti?« fragt Saifullah, und schließlich geht Faai wieder in die Küche, um ihm einen Teller voll zu holen.
Ahl weiß nicht genau, wie er das alles einordnen soll, aber er hat das starke Gefühl, daß es ein gutes Zeichen ist; er kann es kaum erwarten, bis alles eine Erklärung findet. Allerdings macht es ihm Sorgen, daß er Saifullah nur schlecht einschätzen kann. Was erwartet ihn dann erst bei Taxliil?
Saifullah ist oben, und Ahl und Xalan sitzen schweigend da und versuchen, die Bedeutung dessen, was sich gerade ereignet hat, einzuschätzen. Ahl ist sich nicht sicher, ob er seine Erwartungen aufgrund Saifullahs Informationen hochschrauben kann.
Ihm zuliebe zählt Xalan die wichtigsten Fakten auf: daß Saifullah länger verschwunden war als Taxliil, daß
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