Gekehrte Straßen oder einfach nur darauf gespuckt (German Edition)
tatsächlich zu
spüren, wie der Schlaf eintritt. Wie die Anordnung von Mutter
Natur über einem hereinbricht und man alle Probleme Probleme
sein lassen kann, da ab sofort keine Lösung zu finden gewesen
wäre. Wenn der matte, leblose Körper auf dem Bett liegt und
der Schlaf über einem hereinbricht, ganz langsam, aber doch
energisch. Der Körper immer schlaffer wird, die Gedanken einen
Salto schlagen, ein Wirrwarr von Erinnerungen und Ideen, um sich dann
ganz plötzlich einfangen und auffressen zu lassen, wie von dem
Maul eines Krokodiles. Der Geist ist weggeflogen und mit dem Geist
alle weiteren Gedanken und Erinnerungen. Der Mensch ist nun
ausgeliefert und hat keine Kontrolle mehr. Ich liebe dieses
Fortfliegen. Fort von dem jetzt und hier, hinein in das dort und
später. Die Neugier macht es wieder aus. Sie lässt mich
davon treiben und ich weiß nicht, wo ich diesmal landen werde.
Ich habe keine Macht über mich und ich überlasse mich
dieser Macht. Ich bin ihr ausgeliefert und ich übergebe mich
ihr; Nacht für Nacht, Stunden über Stunden und alles ohne
wirklicher Angst. Ich weiß, dass es ein Muss ist. Ein absolutes
Muss. Ich muss. Deswegen habe ich mich ihr angefreundet. Ich habe
mich ihnen, der Angst und der Dringlichkeit übergeben. Aber es
ist auch ein wohliges Gefühl über Sekunden hinweg. Von
einer Welt, in eine völlig andere einzutauchen. Fast dasselbe,
wenn ich in meine Kneipe gehe und mir einen ansaufe und nach Hause
laufe und am nächsten Morgen mich an nichts mehr erinnere. Es
ist eine Sucht. Ich suche danach und ich werde immer wieder fündig
dabei. Es ist kein Ende in Sicht. Ich fange stets von Neuem an. Sei
es in die Kneipe rein oder auch nur auf meinem Bett zugehend und
darauf liegend. Die Übergänge sind wie die Vorspeise eines
wundersamen Gerichtes. Die Freude auf ein mehr ist gegeben. Sollte
das Hauptgericht nicht mal geschmeckt haben, so bleibt die
Möglichkeit der Wiederholung. Nacht für Nacht, Tag für
Tag, Jahr für Jahr. So ist die Vorspeise, das Wissen um das
Müssen, um das sich hingehen und hinlegen müssen, wie die
Liebe, die Schwärmerei, das pure Glück. Danach erfolgt das
Hauptgericht, das Träumen, das Eintauchen in eine andere, nicht
steuerbare Welt und das ist wie der Tanz, die Freude, der Wahnsinn.
Der Nachtisch ist das langsame Erwachen aus der Traumwelt. Das ist
wie das Erlangen einer Erkenntnis, der Zufriedenheit, der Wahrheit.
In einem Café würde nach so einem Gericht die Rechnung
erfolgen. Sie erfolgt auch nach der Nacht und zwar in Form einer
Aussage, dass alles umsonst war, nichts den Menschen gekostet hat,
aber nur, wenn der Mensch auch dafür empfänglich war. Und
Nicola war zu genüge empfänglich. Er hatte sowieso wenig
Geld und freute sich über jedes Geschenk und über jegliche
Nahrung. Nur manchmal wollte er es nicht wahrhaben. Er hatte sich
abgeschottet und ist in die Maske eines Ungeheuers geschlüpft,
um unerkannt zu bleiben, um nichts mehr an sich ranzulassen, sowohl
am Tage als auch in der Nacht. Aber es war nicht ausreichend. Er
wurde entdeckt. Seine Vergangenheit hatte ihn eingeholt und nicht nur
in seinem Kopf und nicht nur in seinen Erinnerungen.
Sein
leiblicher und einziger Sohn hatte ihn ausfindig gemacht und möchte
ihm, seinem leiblichen und einzigen Vater wieder begegnen, ihn
kennenlernen und ihm Rechenschaft abverlangen. Noch immer hielt
Nicola den Brief in der Hand, auch wenn viele Tage seitdem vergangen
waren. Er hielt das Stück Papier in den Händen, das nur
zwei Sätze beinhaltete. Der eine Satz handelte darüber,
dass Fjodor sich mit ihm treffen wolle, wenn er es denn auch möchte,
und der andere Satz handelte darüber, dass seine Mutter zurück
in die Anstalt gegangen war und jetzt auf keinem Auge jemals wieder
etwas sehen würde.
Meine
Stirn brennt, mein Kopf ist heiß. Ist das Fieber? Das ist
Freiheit. Freiheit und nicht den Erwartungen entsprechen. Das bin
ich. Ein umher irrender Hund. Niemandem gerecht werden. Es nicht
können. Ich lebe auf der Straße, auf gekehrten Straßen,
die ich selbst zuvor gereinigt habe, um schneller ankommen zu können.
Irgendwo ankommen, an einem mir gerechten Ziel. Und während ich
auf diese Art und Weise viele Straßen gegangen bin, merke ich,
mein Ziel wird stets mein Weg selbst nur sein. Meine eigene Freiheit
ist der Weg. So gesehen werde ich immer in Bewegung bleiben, weil es
kein Ende geben wird. Der Weg wird niemals irgendwo aufhören. Es
geht immer weiter. Der Weg ist endlos und endlos ist
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