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Gekehrte Straßen oder einfach nur darauf gespuckt (German Edition)

Gekehrte Straßen oder einfach nur darauf gespuckt (German Edition)

Titel: Gekehrte Straßen oder einfach nur darauf gespuckt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Svetlana Sekulic
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am selbigen Tag hatte ich mich auch von den Straßen und der
Ordentlichkeit des Lebens verabschiedet. Es beruhte auf
Gegenseitigkeit. Ein gegenseitiges Geben und Nehmen.
    Alles
hatte seine Ordnung. Das Elend hatte seine Ordentlichkeit. Ich
brauchte keinem einen Vorwurf zu machen. Und ich brauchte es ebenso
von keinem, mir als ein solches vorwerfen zu lassen. Mir etwas
vorwerfen zu lassen, das fiel mir seit jeher schwer. Ich überlegte,
wann es genau begann, aber ich kam nur darauf, dass ich eigentlich
was ganz anderes werden sollte, es aber nicht ausführen konnte,
weil ich das notwendige `in den Hintern zu kriechen` nicht vorweisen
konnte. Ich wollte in einem großen Restaurant arbeiten in St.
Petersburg und ich stellte mich dort vor, aber bereits bei der
Vorstellung musterte mich die Abteilungsleiterin von oben bis unten
und mein Gesicht überzog sich mit einer beschämenden Röte.
Das musste die Leiterin bemerkt haben und so sagte sie nur zu, dass
ich für zwei Wochen einmal in dem riesigen Hotel in der Küche
zur Probe arbeiten dürfte, während ich immer kleiner ihr
gegenüber wurde und dunkelroter im Gesicht. In der Küche
gelandet, wurde ich hin- und hergeschubst, angeschrien und
gedemütigt. Ich hielt das nur eine Woche aus, deshalb so lange,
weil Babu so stolz auf mich war und mich zu der großen Chance
beglückwünschte. Ich empfand das niemals als eine Chance
und verstand den Glückwunsch nicht und ich konnte mich nicht
mehr anbrüllen lassen, da ich um meine Fähigkeiten wusste,
sie noch nicht effizient ausmachen konnte, aber dessen ganz tief in
mir bewusst waren und es einfach als ungerecht empfand so behandelt
zu werden. Als ich abermals in der Küche angeschnauzt wurde,
während ich schwere Salatschüsseln auswusch, knallte ich
die silberne, große Salatschüssel dem Küchenarbeiter
auf die Füße. Im gleichen Moment stand die
Abteilungsleiterin neben ihm und schüttelte mit dem Kopf und
behauptete, es immer schon geahnt zu haben, dass mit mir etwas nicht
stimme und ich es niemals zu irgend etwas im Leben bringen würde.
Ich überlegte mit hochrotem Kopf, ob ich ihr auch eine Schüssel
auf ihre Füße oder ins Gesicht knallen sollte, aber sie
schien etwas bemerkt zu haben und ging mit zurückgeworfenem
Haupt eiligst aus der großen Hotelküche. Doch in dem
jungen Alter überlegte ich mir noch nichts dergleichen, sondern
ich war überwältigt und schockiert, wie Menschen andere
Menschen behandeln können. Deswegen lief ich nur rot an und
wurde immer kleiner und kleiner und malte mir viele Jahre später
aus, wie es gewesen wäre, wenn ich solche Gedanken tatsächlich
in mir getragen hätte und mich tatsächlich hätte
wehren können. Und so konnte ich mich erst zwanzig Jahre später
wirklich wehren und traf die Entscheidung, ob ich zurückschlagen
sollte oder auch nicht. Ich stand in der Küche und war einfach
nur perplex und das mit der Salatschüssel in der Hand. Ab dem
Moment wusste ich, ich werde es niemals zu etwas bringen, zumindest
nicht in diesen Sekunden und nicht in diesem Hotel, aber nur deshalb,
weil ich mich diesem dämlichen Pack von Menschen nicht anpassen
wollte und auch nicht konnte. Ich konnte mich nicht fügen und
mich nicht wehren, konnte aber auch nicht in deren Hintern kriechen,
nur um nicht verhungern zu müssen und um eine Arbeit zu haben.
Ich wurde vorerst nichts, aber ich behielt meine Würde. Babu war
drauf und dran in das Hotel zu gehen, um diese Menschen zu
verprügeln, zumindest hatte sie ihren geliebten Gehstock dabei,
aber ich redete ihr das aus und wir fühlten uns draußen,
fernab von den eingebildeten, unfreundlichen Kreaturen und drinnen in
unserer kleinen Wohnung gemeinsam stark und zufrieden. Wir
überlegten, was ich beruflich ausüben könnte, ohne
mich demütigen lassen zu müssen und nicht angeschrien zu
werden und somit mich gegen nichts und niemanden zu wehren hätte.
So wurde ich der ideale Briefträger. Er ward geboren. Ich fühlte
mich wie neu geboren. Ich, Nicola, der ideale Briefträger. Ich
hatte keine Respektperson vor mir, sondern nur die Natur um mich
herum und die Sonnenstrahlen ab und an auf meinem Kopf und ich war
mit mir selbst alleine und so mein bester Freund.

    Da
war Großmutter Babu ganz anders gestrickt. Zumindest trank sie
nicht, brauchte aber hin und wieder etwas an Aufmerksamkeit und
Anerkennung. Aber sie fürchtete sich vor niemandem und ging
immer mit hoch erhobenen Haupt über die Straßen, egal wie
dreckig es sich unter ihren Fußsohlen

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