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Gekehrte Straßen oder einfach nur darauf gespuckt (German Edition)

Gekehrte Straßen oder einfach nur darauf gespuckt (German Edition)

Titel: Gekehrte Straßen oder einfach nur darauf gespuckt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Svetlana Sekulic
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für mich, denn
schließlich war ich ihr einziger lebendiger Enkel, den sie
hatte.

    Und
die Zeit wollte einfach nicht stehen bleiben, warum hätte sie es
dieses mal gewollt und so wurde Babu nicht jünger und musste
letztendlich in ein Krankenhaus eingeliefert werden, da ich sie an
einem Morgen auf dem Küchenboden entdeckte. Und so kam Babu zum
ersten mal in ihrem Leben in ein Krankenhaus nach Moskau. Ich blieb
Tag und Nacht bei ihr und merkte doch, dass Babu immer mehr in eine
andere Welt verschwand, in eine eigens für sie geschaffene Welt.
Und ich konnte sie nicht aufhalten darin zu entschwinden, so sehr ich
es mir wünschte und mich bemühte, sie dort nicht hinein zu
lassen.
    Ich wachte
über Babu und saß jeden Tag bei ihr, so dass ich Zeuge
ihres Abschiedes wurde. Eine junge hübsche Krankenschwester kam
an das Bett von Großmutter, ich saß daneben, aber
Großmutter bemerkte mich nicht, sie wurde langsam müde.
Babu beklagte sich bei der Schwester, dass das doch kein Leben sei im
Liegen, denn sie wollte aus dem Bett heraus, auf die Straße
hinaus und in ein Theater wieder rein, denn schließlich hat das
Publikum eigens, um sie sehen zu können sehr teure Karten
gekauft und sie hätte schließlich gleich aufzutreten. Die
Schwester ermahnte sie, dass das ohne Begleitung nicht gehen würde,
aber bald, wenn es ihr besser geht, dürfe sie mit mir, ihrem
Enkel wieder spazieren gehen. Daraufhin überlegte Babu, welcher
Enkel nun gemeint sein könnte. Ich ergriff die Hand von Babu,
aber ich sah Großmutter weiterhin darüber nachdenken, von
welchem Enkel nun die Rede war und irgendwie schien mir, dass es ihr
nicht einfallen wollte. Babu beharrte hartnäckig darauf, endlich
aufstehen zu dürfen, denn schließlich sei sie schon groß
und über einhundert Jahre alt und ein niemand könne deshalb
nichts ihr befehlen. Die Schwester stimmte ihr zu, dennoch käme
die Anweisung vom Doktor und ihm habe man trotz einhundert
Lebensjahre zu gehorchen. Währenddessen zog die junge Schwester
meiner Großmutter Stützstrümpfe an und sogleich
hallte es ihr mürrisch entgegen: `Sie sind doch so eine nette
Schwester. Sagen sie ihrem Doktor, dass sie mir diese dämlichen
Strümpfe wieder ausziehen und mich nachher ins Theater zu meiner
Aufführung begleiten werden`. Die junge Nachtschwester konnte
sich ein Lachen nicht verkneifen, verneinte aber Babu`s Wunsch. Ich
lächelte der hübschen Schwester zurück, während
es nun kräftiger aus Großmutters Mund ertönte: `Sagen
sie auch ihrem Doktor, er soll nicht schlafen können, so wie ich
mit diesen blöden Strümpfen und dass er niemals wieder ein
Theater von innen sehen wird bei seinen dummen Befehlen.´ Jetzt
blickte mich Großmutter an und drückte meine Hand, die ich
die ganze Zeit auf ihrer gehalten hatte. `Mein Junge, wie groß
du geworden bist. Weißt du, jetzt bin ich schon einhundert
Jahre hier in diesem dämlichen Krankenhaus und die wollen mich
nicht mehr herauslassen, obwohl ich gleich eine Aufführung im
Theater habe.´ Ich beruhigte Großmutter und spürte
doch, dass sie bald gehen durfte, zurück in eine Welt, die wie
geschaffen war für Babu, in eine schöne, glücklichere
Welt, in der sie Tag ein und Tag aus die Hauptrolle spielen durfte.
Und als ob sie meine Gedanken lesen konnte, erschien ein Lächeln
in ihrem Gesicht, aber mir wurde dabei sehr traurig ums Herz und ich
hörte auch nicht mehr, wie die hübsche Schwester gegangen
war und uns beide in dem kleinen, weißen Zimmer zurück
ließ. Und so ließ mich Babu drei Tage später ganz
alleine zurück, zurück in dieser großen, weiten,
dunklen Welt. Und ich erinnerte mich daran, wie sie früher zwar
immer klein, aber stark und robust war, alles essen konnte, was es zu
essen sich fand und mehrmals am Tage kochte, damit immer etwas an
Auswahl da war und wie sah ich sie jetzt zuletzt. Abgemagert, kleiner
noch als damals, weil sich die Knochen und vorne dran die Wirbelsäule
sich beugten, beugten vor einem anstrengenden Leben und der steten
vergeblichen Suche nach Anerkennung. Und wie traurig wurde mir ums
Herz, einfach deswegen, weil ich erkennen musste, dass nichts blieb
wie es einmal war, selbst nicht die Größe von Babu. Sie
entschwand förmlich dahin, siechte dahin, schloss für immer
die Augen vor weiterem Schmerz. Der Schmerz wanderte von ihr zu mir
und ich ahnte, dasselbe würde mir eines Tages widerfahren. Mir,
dem jungen, noch fidelen Briefträger im russischen Lande. Auch
ich werde eines Tages gekrümmt und

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