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Gekehrte Straßen oder einfach nur darauf gespuckt (German Edition)

Gekehrte Straßen oder einfach nur darauf gespuckt (German Edition)

Titel: Gekehrte Straßen oder einfach nur darauf gespuckt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Svetlana Sekulic
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gebeugt vor Ehrfurcht oder
einfach vor Schmerz die letzten Schritte meines Lebens schreiten und
dann für immer liegen bleiben und meinen nächsten
Verwandten nicht mehr an meinem Bett erkennen. Ich werde wandern
hinein in eine andere Welt, werde meine Augen verschließen vor
der Unkenntnis eines nicht gelebten und nicht gewollten Lebens. Ich
werde gen Himmel oder einer kalten weißen Decke starren und
vielleicht noch hoffen, dass es nicht allzu weh tun werde, der
Übergang von hier zu dort. Und ich werde überlegen, ob ich
nach unten oder nach oben komme und werde im Schnelldurchlauf mein
Leben durchgehen, um schnellst möglichst eine Antwort zu finden.
Und wenn ich eine gefunden habe, werde ich wie Babu meine Augen
schließen mit nichts im Kopf und mit keiner Antwort darauf,
weil ich plötzlich so kurz vor dem Tod nicht plötzlich um
eine Antwort wüsste, die mir ein Leben lang versagt geblieben
ist. Und wie gerne hätte ich ihr noch einmal eine großartige
Theatervorstellung gegönnt, in der sie ringsherum Applaus bekam,
von allen Seiten her Beifall und tobenden Applaus, aber ich konnte
ihr nicht einmal diesen allerletzten Abschied von diesem Leben hier
in dem Ausmaß gönnen, dass ihr angemessen gewesen wäre;
konnte sie nicht in einer weißen Kutsche durch die Stadt fahren
lassen, die von sechs schwarzen Pferden gezogen wurde, die allesamt
mit Blumen geschmückt waren und auf dem Sarg, inmitten der
Kutsche es über und über voll war mit ihren weißen
Lieblingsblumen. Nein, ich konnte ihr weder eine Kutsche, noch ein
einziges schwarzes Pferd anbieten. Ich habe meine Großmutter
ganz alleine hinter dem Sarg begleitet, weil Babu niemanden mehr hier
auf dieser Welt hatte und ich außer Babu niemanden in meinem
Leben mehr haben werde. Auch wenn ich kein kleines Kind mehr war, so
war ich doch bis zuletzt ihr kleiner Enkelsohn geblieben. Und der
Sarg von Babu wurde auf einem Holzkarren gezogen und er fuhr den
kürzesten Weg von dem Krankenhaus, bis hin zu dem Friedhof, denn
jede angefangene halbe Stunde kostete mich etliche Rubel mehr. Und
aus weiter Ferne sah ich das Theaterhäuschen stehen und ich
glaube, Babu hatte es durch den Sarg hindurch auch gesehen und ihm
zum letzten mal zugewunken und sich sehr auf ihren allergrößten,
auf ihren noch bevorstehenden Auftritt gefreut. Und ich glaubte im
Innersten meines Herzens, dass Babu jetzt für immer ein großer
Star in ihrer Welt sein werden würde, mit dem großzügigsten
und dankbarsten Publikum, dass sie je zu Lebzeiten gehabt haben
könnte. Und so ging ich mit gesenktem Haupt hinter dem großen
Star Babu her und als der Sarg herab gelassen wurde, in das
ausgehobene Loch wackelig an zwei Seilen herab gelassen wurde, da
griff ich in meine Jackentasche und holte Babu`s Lieblingskette
hervor, segnete mich damit, küsste dreimal darauf und schmiss
sie auf den Holzsarg herab und hinter meinem Tränenschleier
konnte ich mir Großmutter trotzdem noch vorstellen, wie sie
erwartungsvoll an ihrer Kette herum zupfte und ihren Kopf einmal nach
rechts und dann nach links drehte, um sich einer Aufmerksamkeit
sicher zu sein. Und ich spendete ihr Applaus. Ich stand vor einem
ausgehöhlten Erdloch und klatschte in die Hände, ungeachtet
dessen, was der Herr Pfarrer und die beiden Sargträger neben
mir, von mir gedacht haben könnten. Ich klatschte in meine Hände
und ich wischte meine Tränen aus dem Gesicht und alles in einem
steten Wechsel. Nach der Kette folgten die Erdballen. Dunkle,
schwarze Erde, mit Ungeziefer und mit Blütenstaub vermischt.
Alles wurde auf sie herab geschmissen und das Loch wurde zugedeckt
und sicher bedeckt, so als wäre es niemals je da gewesen, als
wäre niemals etwas geschehen hier über und hi er unter
dieser Erde. Ein Menschenleben weniger auf dem Globus und es würde
nicht das letzte Menschenleben gewesen sein. Und mit diesem Wissen
und dieser Selbstverständlichkeit verabschiedete sich der Herr
Pfarrer und die beiden Sargträger und ich verabschiedete mich
von meiner Liebe zu Babu und von dem einzigen Menschen, den ich noch
hier in Moskau hatte und ich begrüßte die neue, verfluchte
Einsamkeit in meinem einsamen, dunklen Herzen. Und so ging ich zurück
in meine armselige Behausung, die mir jetzt noch armseliger vorkam,
da keine Babu mehr darin wohnen würde, keiner mehr darin
vorzufinden war, der eine frische Tischdecke auf das runde Tischchen
warf, keiner mehr, der mir eine cremefarbige Milch aufkochte mit
einem Löffel Zucker darin, wenn mein

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