Geködert
sollte, ließ mich auf eine Diskussion aber nicht ein.
Als ich mich verpflichtet hatte, Dodo nicht sofort zu besuchen, war es mir ernst damit gewesen. Aber je länger ich mir die Sache auf der Rückfahrt nach London überlegte, desto schwerer fiel es mir, bei diesem Vorsatz zu bleiben. Während ich durch die ersten Vororte fuhr, war es dann soweit: Ich beschloß, Silas’ Bitte zu ignorieren. Sämtliche Instinkte rieten mir, dass ich ihn mir schnappen musste, und zwar jetzt.
Dodo war mir inzwischen als hochtalentierter Nassauer schon bekannt, es wunderte mich also nicht, dass er jetzt ein ganzes Haus mietfrei bewohnte. Das Haus gehörte einem ungarischen Ehepaar, dessen Bekanntschaft er bei Glorias Eltern gemacht hatte. Die Besitzer verbrachten ihren Winterurlaub auf Madeira. Es war ein elegantes, altes Haus in Hampton Wick. Ich fand es in einer ruhigen Seitenstraße neben anderen frühviktorianischen Bauten, zwischen dem Fluss und dem Park des Hampton Court Palace.
Es wurde schon dunkel, als ich dort ankam, der Himmel war violett, und der Mond hatte einen Hof, was angeblich Regen ankündigt. Das Haus Nr. 18 stand einzeln und ein Stück von der Straße zurückgesetzt. Über die Gartenmauer hinweg sah man eine kunstvolle schmiedeeiserne Balkonbrüstung und das wie bei einer Pagode geschwungene Dach des Balkons. Bei dieser bewusst und mit soviel Dekor inszenierten Abgeschiedenheit dachte man sofort an eine dieser Villen, in denen einst vielleicht eine verführerische Konkubine ihre langen und einsamen Tage verbracht hatte.
Ein schmiedeeisernes Tor in der Gartenmauer führte in einen kleinen Vorgarten. Dort blieb ich stehen und sah das Haus näher an. Die Vorhänge waren nachlässig zugezogen, so dass sich an fast allen Fenstern Lichtspalten zeigten. Der Abend war bitterkalt, und außer dem Verkehr auf der Hauptstraße nach Kingston Bridge war kein Geräusch zu hören.
Ich ging die Stufen zur grünen Haustür hinauf. Einen Klingelknopf fand ich nicht, aber einen Messingtürklopfer in der Form eines Löwenkopfs, mit dem ich laut hallend anklopfte. Es dauerte eine ganze Weile, ehe ich drinnen Bewegung wahrnahm. Ich hatte das Gefühl, dass irgend jemand erst einmal aus dem Fenster des Obergeschosses nachgesehen hatte, wer da klopfte. Endlich öffnete mir aber Dodo höchstpersönlich die Tür. Er trug einen weißen Rollkragenpullover, graues Baumwolljackett, graue Cordhosen und Mokassins mit Lederbommeln. »Ahhh! Guten Abend!« sagte er. »Du hast mich also aufgespürt.«
»Kann ich reinkommen?«
Er antwortete nicht gleich. Er hielt sich vielmehr an der Türkante fest und musterte mich von oben bis unten. »Meinetwegen«, sagte er ohne Begeisterung. »Komm rein und trink ein Glas.« Er führte mich durch ein Entree mit Garderobe und großem Spiegel, ohne mich einzuladen, meinen Mantel abzulegen. Wir betraten einen Raum an der Rückseite des Hauses, fast einen Saal, in dem ein Konzertflügel, ein paar Sessel und verschiedene antike Tischchen standen, auf denen verschiedene Schnupftabakdosen und allerhand Nippes ausgelegt waren. Die viktorianische Tapete fasste das alles in einen Dschungel gedruckter Vegetation, und das einzige Licht im Raum fiel aus einer Messinglampe geradewegs auf die Noten, die auf dem Flügel aufgeschlagen bereitstanden.
Das Zimmer roch muffig und unbewohnt, die Fensterläden waren geschlossen, und auf dem schwarzen Lack des Flügels lag eine graue Staubschicht. Dodo wandte sich um und sah mir ins Gesicht. »Also, was gibt’s?« fragte er. Seine Stimme war hart und streitlustig, und seine Augen blitzten. Ich schrieb das alles dem Alkohol zu, aber sicher konnte man bei Dodo nie sein.
»Also hör mal, Dodo«, sagte ich, »eins sollten wir wohl besser klarstellen …«
Er hatte sich bewegt, als wollte er an mir vorbeigreifen, richtete sich dann aber plötzlich und ohne jede Warnung gerade auf, um mir einen Fauststoß in den Magen zu versetzen, so wuchtig, dass mir der Atem wegblieb. Als ich mich nach Luft schnappend vornüber beugte, schlug er mir mit der Handkante auf den Hals. Es war ein sehr gut plazierter Karateschlag, und augenblicklich stand jeder Nerv meines Körpers in Flammen. Ich krümmte mich und hustete mein Mittagessen aus. So sah ich zu meinem Glück seinen Fuß kommen und konnte dem gemeinen Tritt ausweichen, so dass die Schuhspitze nur meinen Arm streifte.
Mein Mantel hatte mich vor der vollen Wucht seiner Schläge geschützt. Hätte Dodo mir den Mantel im Entree abgenommen, läge
Weitere Kostenlose Bücher