Geködert
scharf darauf, seinen Mut zu beweisen, aber das waren alle, die die Seiten gewechselt hatten. Dennoch war Dodo, als er sich erst eingewöhnt hatte, ein loyaler und vernünftiger Agent. Der Typ, von dem ich erwartet hätte, dass er dir sympathisch wäre. Einem Mann wie ihm muss man die eine oder andere Indiskretion schon nachsehen. Was?« Wieder zog er das Taschentuch heraus, um sich zu schneuzen.
»Indiskretion?«
»Ich würde das gleiche über dich sagen, Bernard«, fügte er hinzu, ehe meine Wut überkochte. »Habe es sogar schon gesagt«, beharrte er, um mich nicht im Zweifel darüber zu lassen, dass ich in seiner Schuld stand.
Er hielt inne, vielleicht in Erwartung einer Geste der Zustimmung oder Bestätigung. Ich nickte ohne besonderen Nachdruck. Seitdem ich in seinem Zimmer saß, überlegte ich, wie ich Dodos verrückte Behauptungen über meinen Vater zur Sprache bringen sollte. Silas hatte meinen Vater so gut gekannt wie kaum sonst jemand unter den noch Lebenden. Die beiden hatten in Berlin zusammen gedient, später auch in London. Silas Gaunt konnte sicherlich so ziemlich jedes Rätsel lösen, das mit der Arbeit meines Vaters zusammenhing, wenn er wollte. Wenn er nur wollte. Und das war der Haken. Silas Gaunt verriet Geheimnisse nicht gern, selbst denen nicht, die ein Recht darauf hatten, eingeweiht zu werden. Und ich hatte einen schlechten Zeitpunkt gewählt. Das sah ich ihm an der Nase an. Mein Besuch machte ihm keine Freude, obwohl er lächelte und nickte und freundlich war. Vielleicht machte er sich nur Sorgen um mich. Oder um Fiona und die Kinder. Oder um Dodo. »Ich weiß das«, sagte ich. »Ich weiß es auch zu schätzen.«
»Ich will, dass du mir versprichst, nicht da aufzutauchen und dich wie ein Rasender aufzuführen«, sagte Silas, »sondern hinzugehen und in aller Ruhe ganz versöhnlich mit ihm zu sprechen, so dass er deinen Standpunkt sieht.«
»Ich will’s versuchen«, versprach ich.
»Wir alle haben eine Menge alter Kameraden gemeinsam: die Gebhard-Zwillinge, den sogenannten Baron Busch, der dich nach Leipzig mitgenommen hat, Oscar Rhine, der behauptete, über die Lübecker Bucht schwimmen zu können, das aber nicht konnte …« Silas hatte diese Liste verblichener Kollegen in munterem Ton herunterbeten wollen, aber er hielt es nicht durch. Er wischte sich die Nase und versuchte es noch einmal. »Wir alle trauern um dieselben alten Freunde, Bernard. Du, ich, Dodo … es wäre doch sinnlos, wenn wir uns jetzt gegenseitig bekriegen.«
»Ja«, sagte ich.
»Er ist noch länger in diesem Geschäft als du«, sagte Silas. »Komm ihm also nicht herablassend.« Da zeigte sich Silas von seiner schlechtesten onkelhaften Seite. Manchmal fragte ich mich, ob Silas nicht sogar mit dem D.G. in diesem Ton redete, denn ich wusste, dass Silas uns alle als Kinder betrachtete, die mehr oder weniger ungeschickt versuchten, das Handwerk zu erlernen, in dem er Meister gewesen war.
»Nein, Silas«, sagte ich. Eine gewisse Skepsis muss meinem Ton anzumerken gewesen sein, denn ich bemerkte jenes Zucken in seinem Gesicht, das bei ihm immer einen nahenden Zornesausbruch ankündigte.
Aber der Zorn kam nicht zum Ausbruch, zumindest merkte man nichts davon. »Erzähl mir noch einmal von Bret Rensselaer. Will er den Dienst wieder antreten?«
»Er könnte es gar nicht«, sagte ich. »Er ist zu alt und zu krank.«
»Es heißt, er hat Berlin verlangt«, sagte Silas.
»Ja«, sagte ich. »Damals hieß es, dass Frank seinen Adelstitel kriegen und in Ruhestand gehen würde, und Bret sollte dann Berlin kriegen.«
»Und dann würde Bret seinen Adelstitel kriegen und selbst in den Ruhestand gehen«, ergänzte Silas. Niemand hatte gezweifelt, dass es so laufen würde, bis dann plötzlich alles schiefging und Bret niedergeschossen wurde. »Was aber war auf lange Sicht für Berlin geplant?«
Ich sah ihn an und fragte mich, was sich irgendwann wohl jeder im Department mal gefragt haben wird: Weshalb war Silas Gaunt nicht in den Ritterstand erhoben worden, da das doch bei Beamten seines Ranges fast automatisch mit der Pensionierung verbunden war? »Ach komm, Silas«, sagte ich. »Du weißt mehr über die geheimen Gedanken der Herren im Obergeschoss, als ich je rauskriegen werde. Erzähl du es mir.«
»Nein, im Ernst, Bernard. Was, meinst du, war damals geplant? Wenn man Frank zum Zivilisten gemacht und durch Bret ersetzt hätte, dann hätte Bret die Stelle doch auch nur bis zum Pensionsalter behalten können. Sie hätten für Bret kaum eine
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