Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geködert

Geködert

Titel: Geködert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Len Deighton
Vom Netzwerk:
zwei Sechser wirfst.«
»Ach richtig, ich bin im Gefängnis«, sagte ich. »Hatte ich ganz vergessen.«
Sally lachte.
Ich fragte mich, ob die Kinder eine Ahnung von den Schwierigkeiten hatten, die mir ihre Mutter hinterließ, als sie überlief. Sie waren immer höflich zu Gloria, manchmal sogar liebevoll, aber die Mutter konnte sie ihnen natürlich nicht ersetzen. Bestenfalls ließen sie Gloria als eine Art ältere Schwester gelten, und auf diesem Zugeständnis beruhte auch Glorias Autorität. Ich machte mir Sorgen um die drei, und in der Arbeit lief es nicht gut. Dicky Cruyer beklagte sich, dass ich nicht hart genug arbeitete und meinen Schreibtisch nicht leerschaufelte. Ich wandte ein, dass ich nicht an meinem Schreibtisch arbeiten könnte, wenn man mich dauernd als Botenjungen nach Berlin schickte, aber Dicky lachte nur und sagte, die Spritztouren nach Berlin seien doch die besten Erholungspausen vom alltäglichen Trott. Und Dicky hatte recht. Diese Ausflüge nach Berlin waren mir wichtig. Ich wäre untröstlich gewesen, wenn man mich um diese Gelegenheit gebracht hätte, hin und wieder meine Berliner Freunde zu besuchen.
Aber hatten sich neuerdings alle Leute, denen ich immer vertraut und auf die ich mich verlassen hatte, gegen mich verschworen? Vielleicht wurde ich langsam verrückt; oder war ich’s schon? Nachts lag ich wach und versuchte herauszufinden, was da vor sich ging. Die Schlaftabletten, die ich mir aus der Apotheke holte, hatten nicht die gewünschte Wirkung. Stärkere hätte ich mir von einem Arzt verschreiben lassen müssen, und gemäß den Richtlinien für höhere Angestellte muss jeder Arztbesuch gemeldet werden. Schlaflosigkeit schien mir das geringere Übel. So wurde ich von Tag zu Tag schwächer. Am Mittwoch war ich zu der Überzeugung gelangt, dass ich aus dieser scheußlichen Lage nur herauskommen konnte, wenn ich mit jemandem ganz oben sprach. Da der Deputy noch ein grüner Junge und außerdem so etwas wie eine unbekannte Größe war, blieb nur der DirectorGeneral, Sir Henry Clevemore. Zu diesem Zweck musste ich den D.G. natürlich erst einmal auftreiben. Ich nahm mir vor, das vor meinem nächsten Ausflug nach Berlin zu erledigen.
Von seinen Krankenhausaufenthalten abgesehen, lebte Sir Henry in einem protzigen, im Tudorstil erbauten Herrenhaus in der Nähe von Cambridge. In ferner Vergangenheit hatte ich mal ab und zu wichtige Papiere dort hinbringen müssen. Einmal war ich bei dem Alten sogar zum Mittagessen eingeladen. Außer seinen engsten Vertrauten kam so selten jemand zu dieser Ehre, dass Dicky mich anschließend geradezu inquisitorisch ausfragte und sich jedes Wort der Unterhaltung wiederholen ließ.
Wie oft Sir Henry dieser Tage nach London kam, schien auf meiner Etage niemand zu wissen. Allenfalls erinnerte sich dieser oder jener, ihn vor einiger Zeit, gebeugt und mit düsterem Gesicht, den Expreßaufzug betreten gesehen zu haben, der den Alten ohne Zwischenhalt in die oberste Etage beförderte.
Sir Henrys Büro war immer noch dort oben, und man hatte nichts darin verändert; ein heilloses Durcheinander von alten Büchern, Akten, Nippesfiguren und Souvenirs, die zu hässlich und zu billig waren, als dass er sie in seinem Haus in Cambridge aufbewahren hätte können, andererseits seinem Herzen zu teuer, um sie wegzuschmeißen.
Die unbezwingbare und stets bezaubernde Gloria löste mein Problem, als sie eines Mittags in der Kantine eine Freundin an unseren Tisch rief. Peggy Collier, eine vorzeitig ergraute Dame, die mit Gloria gleich vom ersten Tag an, da sie ihren Dienst bei uns antrat, Freundschaft geschlossen hatte, deutete an, dass Sir Henry jeden Freitag in seinem Büro sei. Sie sagte, jeden Freitagmittag müsse sie eine Kassette mit »dringenden und aktuellen Vorgängen« für den D.G. bereithalten. Die Papiere würden dann durch Kurier zum Cavalry Club in Piccadilly gebracht. Als ich das hörte, fiel mir auch wieder ein, dass im Operationslogbuch an jedem Freitag der Cavalry Club als Kontaktnummer des D.G. angegeben war.
Peggy sagte, die Dokumentenkassette würde stets zwischen fünf und sieben Uhr abends durch Kurier ins Büro zurückgebracht. Die arme alte Peggy nämlich musste deren Rückkehr abwarten und die vom D.G. durchgesehenen Akten wieder am richtigen Platz einordnen. Manchmal – viel öfter, als ihr lieb war – kam Peggy deshalb nicht rechtzeitig nach Hause, um ein anständiges Essen zu kochen für ihren Mann Jerry – mit J geschrieben, da der abgekürzte Name

Weitere Kostenlose Bücher