Geködert
bemerkenswerter Sprachkünstler.«
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»Er hat für Gehlen gearbeitet«, sagte ich, um Silas in Erinnerung zu rufen, dass der tüchtige Mann eine Nazi-Vergangenheit hatte.
»Viele der besten Leute waren bei Gehlen. Nach dem Krieg waren sie die einzigen Leute mit Erfahrung, die uns zur Verfügung standen. Ich persönlich habe sie allerdings nie beschäftigt«, sagte Silas, vielleicht um meine Wut zu dämpfen.
»Nicht unmittelbar jedenfalls. Ich habe immer einen gewissen Abstand zu den ehemaligen Abwehrleuten gehalten. Der Lange hat ihn genommen … wie nannte er doch diesen Haufen, den er führte?«
»Die Preußen«, sagte ich.
»Richtig. Kobys Preußen. Wie konnte ich das nur vergessen.
Schlimm, dass sogar das Langzeitgedächtnis schon anfängt, mich im Stich zu lassen.«
Ich sagte nichts.
»Dein Vater auch. Der wollte nichts mit ihnen zu tun haben.
Es war ihm gar nicht recht, als du anfingst, für Koby zu arbeiten.«
»Ich habe mich mit Max zusammengetan«, sagte ich. »Und Max gehörte eben zu Kobys Haufen.«
Silas schniefte. »Du hättest bei deinem Vater bleiben sollen, Bernard.«
»Ich weiß«, sagte ich. Er hatte einen Nerv berührt.
Einige Minuten lang saßen wir schweigend da. »Dein Dodo ist ganz in Ordnung«, sagte Silas endlich, als hätte er gründlich darüber nachgedacht. »Vielleicht ein bisschen zu scharf darauf, seinen Mut zu beweisen, aber das waren alle, die die Seiten gewechselt hatten. Dennoch war Dodo, als er sich erst eingewöhnt hatte, ein loyaler und vernünftiger Agent. Der Typ, von dem ich erwartet hätte, dass er dir sympathisch wäre.
Einem Mann wie ihm muss man die eine oder andere Indiskretion schon nachsehen. Was?« Wieder zog er das Taschentuch heraus, um sich zu schneuzen.
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»Indiskretion?«
»Ich würde das gleiche über dich sagen, Bernard«, fügte er hinzu, ehe meine Wut überkochte. »Habe es sogar schon gesagt«, beharrte er, um mich nicht im Zweifel darüber zu lassen, dass ich in seiner Schuld stand.
Er hielt inne, vielleicht in Erwartung einer Geste der Zustimmung oder Bestätigung. Ich nickte ohne besonderen Nachdruck. Seitdem ich in seinem Zimmer saß, überlegte ich, wie ich Dodos verrückte Behauptungen über meinen Vater zur Sprache bringen sollte. Silas hatte meinen Vater so gut gekannt wie kaum sonst jemand unter den noch Lebenden. Die beiden hatten in Berlin zusammen gedient, später auch in London.
Silas Gaunt konnte sicherlich so ziemlich jedes Rätsel lösen, das mit der Arbeit meines Vaters zusammenhing, wenn er wollte. Wenn er nur wollte. Und das war der Haken. Silas Gaunt verriet Geheimnisse nicht gern, selbst denen nicht, die ein Recht darauf hatten, eingeweiht zu werden. Und ich hatte einen schlechten Zeitpunkt gewählt. Das sah ich ihm an der Nase an. Mein Besuch machte ihm keine Freude, obwohl er lächelte und nickte und freundlich war. Vielleicht machte er sich nur Sorgen um mich. Oder um Fiona und die Kinder. Oder um Dodo. »Ich weiß das«, sagte ich. »Ich weiß es auch zu schätzen.«
»Ich will, dass du mir versprichst, nicht da aufzutauchen und dich wie ein Rasender aufzuführen«, sagte Silas, »sondern hinzugehen und in aller Ruhe ganz versöhnlich mit ihm zu sprechen, so dass er deinen Standpunkt sieht.«
»Ich will’s versuchen«, versprach ich.
»Wir alle haben eine Menge alter Kameraden gemeinsam: die Gebhard-Zwillinge, den sogenannten Baron Busch, der dich nach Leipzig mitgenommen hat, Oscar Rhine, der behauptete, über die Lübecker Bucht schwimmen zu können, das aber nicht konnte …« Silas hatte diese Liste verblichener Kollegen in munterem Ton herunterbeten wollen, aber er hielt
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es nicht durch. Er wischte sich die Nase und versuchte es noch einmal. »Wir alle trauern um dieselben alten Freunde, Bernard.
Du, ich, Dodo … es wäre doch sinnlos, wenn wir uns jetzt gegenseitig bekriegen.«
»Ja«, sagte ich.
»Er ist noch länger in diesem Geschäft als du«, sagte Silas.
»Komm ihm also nicht herablassend.« Da zeigte sich Silas von seiner schlechtesten onkelhaften Seite. Manchmal fragte ich mich, ob Silas nicht sogar mit dem D.G. in diesem Ton redete, denn ich wusste, dass Silas uns alle als Kinder betrachtete, die mehr oder weniger ungeschickt versuchten, das Handwerk zu erlernen, in dem er Meister gewesen war.
»Nein, Silas«, sagte ich. Eine gewisse Skepsis muss meinem Ton anzumerken gewesen sein, denn ich bemerkte jenes Zucken in seinem Gesicht, das bei ihm immer einen nahenden
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