Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geködert

Geködert

Titel: Geködert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Len Deighton
Vom Netzwerk:
Silas«, sagte ich, »du bist schwer erkältet.«
    Silas bestand nicht auf seiner Einladung. Er war schließlich ein alter Herr mit festen Gewohnheiten. Unangekündigter

    - 315 -
    Besuch war nicht nach seinem Geschmack, und
    unvorhergesehene Gäste zum Abendessen schon gar nicht. Er wischte sich die Nase und fragte: »Irgendwelche Neuigkeiten von deiner Frau?«
    »Nichts.«
    »Es muss schwierig sein für dich, aber gib nicht auf«, sagte Silas. »Wann besuchst du mich mal mit den Kindern?«
    Ich sah verblüfft auf. Dass eine derartige Invasion seiner wohlgeordneten kleinen Welt ihm willkommen sein könnte, hätte ich nie für möglich gehalten. »Jederzeit«, erwiderte ich verlegen. »Heute in einer Woche? Zum Mittagessen?«
    »Großartig!« Er sah aus dem Fenster und sagte: »Ich werde Mrs. Porter einschärfen, das Lendenstück nicht zu sehr durchzubraten. Und danach vielleicht eine Charlotte Russe?
    Das ist doch was für Billy, nicht?«
    Sein Auge für solche Kleinigkeiten überraschte mich immer wieder von neuem; es war ihm also nicht entgangen, wie gierig Billy bei unserem letzten Besuch hier Mrs. Porters Roastbeef und Charlotte Russe vertilgt hatte. »Ja«, sagte ich, »für uns alle übrigens.«
    »Dich brauchen wir nicht in Versuchung zu führen, du magst doch alles«, sagte Silas wegwerfend. »Manchmal wünschte ich, du wärst ein bisschen wählerischer.«
    Ich verstand, dass dieses Urteil nicht nur meinen Geschmack im engeren Sinne treffen sollte, ließ mich auf eine Diskussion aber nicht ein.

    Als ich mich verpflichtet hatte, Dodo nicht sofort zu besuchen, war es mir ernst damit gewesen. Aber je länger ich mir die Sache auf der Rückfahrt nach London überlegte, desto schwerer fiel es mir, bei diesem Vorsatz zu bleiben. Während ich durch die ersten Vororte fuhr, war es dann soweit: Ich beschloß, Silas’ Bitte zu ignorieren. Sämtliche Instinkte rieten mir, dass ich ihn mir schnappen musste, und zwar jetzt.

    - 316 -
    Dodo war mir inzwischen als hochtalentierter Nassauer schon bekannt, es wunderte mich also nicht, dass er jetzt ein ganzes Haus mietfrei bewohnte. Das Haus gehörte einem ungarischen Ehepaar, dessen Bekanntschaft er bei Glorias Eltern gemacht hatte. Die Besitzer verbrachten ihren Winterurlaub auf Madeira. Es war ein elegantes, altes Haus in Hampton Wick. Ich fand es in einer ruhigen Seitenstraße neben anderen frühviktorianischen Bauten, zwischen dem Fluss und dem Park des Hampton Court Palace.
    Es wurde schon dunkel, als ich dort ankam, der Himmel war violett, und der Mond hatte einen Hof, was angeblich Regen ankündigt. Das Haus Nr. 18 stand einzeln und ein Stück von der Straße zurückgesetzt. Über die Gartenmauer hinweg sah man eine kunstvolle schmiedeeiserne Balkonbrüstung und das wie bei einer Pagode geschwungene Dach des Balkons. Bei dieser bewusst und mit soviel Dekor inszenierten Abgeschiedenheit dachte man sofort an eine dieser Villen, in denen einst vielleicht eine verführerische Konkubine ihre langen und einsamen Tage verbracht hatte.
    Ein schmiedeeisernes Tor in der Gartenmauer führte in einen kleinen Vorgarten. Dort blieb ich stehen und sah das Haus näher an. Die Vorhänge waren nachlässig zugezogen, so dass sich an fast allen Fenstern Lichtspalten zeigten. Der Abend war bitterkalt, und außer dem Verkehr auf der Hauptstraße nach Kingston Bridge war kein Geräusch zu hören.
    Ich ging die Stufen zur grünen Haustür hinauf. Einen Klingelknopf fand ich nicht, aber einen Messingtürklopfer in der Form eines Löwenkopfs, mit dem ich laut hallend anklopfte. Es dauerte eine ganze Weile, ehe ich drinnen Bewegung wahrnahm. Ich hatte das Gefühl, dass irgend jemand erst einmal aus dem Fenster des Obergeschosses nachgesehen hatte, wer da klopfte. Endlich öffnete mir aber Dodo höchstpersönlich die Tür. Er trug einen weißen

    - 317 -
    Rollkragenpullover, graues Baumwolljackett, graue Cordhosen und Mokassins mit Lederbommeln. »Ahhh! Guten Abend!«
    sagte er. »Du hast mich also aufgespürt.«
    »Kann ich reinkommen?«
    Er antwortete nicht gleich. Er hielt sich vielmehr an der Türkante fest und musterte mich von oben bis unten.
    »Meinetwegen«, sagte er ohne Begeisterung. »Komm rein und trink ein Glas.« Er führte mich durch ein Entree mit Garderobe und großem Spiegel, ohne mich einzuladen, meinen Mantel abzulegen. Wir betraten einen Raum an der Rückseite des Hauses, fast einen Saal, in dem ein Konzertflügel, ein paar Sessel und verschiedene antike Tischchen

Weitere Kostenlose Bücher