Geködert
Zornesausbruch ankündigte.
Aber der Zorn kam nicht zum Ausbruch, zumindest merkte man nichts davon. »Erzähl mir noch einmal von Bret Rensselaer. Will er den Dienst wieder antreten?«
»Er könnte es gar nicht«, sagte ich. »Er ist zu alt und zu krank.«
»Es heißt, er hat Berlin verlangt«, sagte Silas.
»Ja«, sagte ich. »Damals hieß es, dass Frank seinen Adelstitel kriegen und in Ruhestand gehen würde, und Bret sollte dann Berlin kriegen.«
»Und dann würde Bret seinen Adelstitel kriegen und selbst in den Ruhestand gehen«, ergänzte Silas. Niemand hatte gezweifelt, dass es so laufen würde, bis dann plötzlich alles schiefging und Bret niedergeschossen wurde. »Was aber war auf lange Sicht für Berlin geplant?«
Ich sah ihn an und fragte mich, was sich irgendwann wohl jeder im Department mal gefragt haben wird: Weshalb war Silas Gaunt nicht in den Ritterstand erhoben worden, da das doch bei Beamten seines Ranges fast automatisch mit der
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Pensionierung verbunden war? »Ach komm, Silas«, sagte ich.
»Du weißt mehr über die geheimen Gedanken der Herren im Obergeschoss, als ich je rauskriegen werde. Erzähl du es mir.«
»Nein, im Ernst, Bernard. Was, meinst du, war damals geplant? Wenn man Frank zum Zivilisten gemacht und durch Bret ersetzt hätte, dann hätte Bret die Stelle doch auch nur bis zum Pensionsalter behalten können. Sie hätten für Bret kaum eine Sonderregelung beantragen können.«
»Ich nehme an, du hast recht«, sagte ich. »Über solche langfristigen Sachen zerbreche ich mir selten den Kopf.«
»Schade«, sagte Silas, »das ist wirklich bedauerlich.« Er senkte die Stimme, als wolle er mir etwas Geheimes und Wichtiges anvertrauen, ein Trick, den er sich bei seinen Einsatzbesprechungen angewöhnt hatte. »Wenn du ab und zu solche Sachen in Betracht ziehen würdest, dann stünde dir jetzt vielleicht das Wasser nicht bis zum Hals.«
»Ach, wirklich?«
»Ist Dicky Cruyer der richtige Mann für den Posten in Berlin?« Seine Stimme war noch immer leise.
»Er will ihn jedenfalls haben.«
»Dicky hat keine deutschen Beziehungen, stimmt’s?
Jedenfalls keine, die auch nur einen Pfifferling wert sind. Auf den Posten in Berlin gehört jemand, der eine Nase für die Atmosphäre dort hat, jemand, der ein Gefühl für die Straße hat, jemand, der riechen kann, was los ist, und zwar ohne dass es ihm das Department steckt.«
»Jemand wie Frank?«
»Frank, wie dein Vater, war einer von meinen Schützlingen.
Ja, Frank hat seine Sache in Berlin gut gemacht. Aber im Alter wird jeder Mann langsamer. Auf den Posten in Berlin gehört ein beweglicher, jüngerer Mann, der herumkommt. Frank sitzt viel zuviel zu Hause vor seinem verdammten Grammophon.«
»Ja«, sagte ich und nickte ernst. Grammophon? Silas wusste über Franks außereheliche Liebesaffären genauso gut Bescheid
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wie ich, aber er erzählte die Geschichte anscheinend lieber auf seine Art. So war er immer schon. »Ich glaube, ich weiß, worauf du hinauswillst, Silas«, sagte ich. Wenn ich ein braver Junge wäre und mit meinen außerdienstplanmäßigen Fragen nicht ständig Schrecken und Verzweiflung verbreiten würde, könnte ich den Job in Berlin bekommen. Darauf wollte er hinaus. Ich glaubte nicht daran.
»Wirklich? Das freut mich aber«, sagte Silas. Ich erhob mich von meinem Sitz. »Würdest du mir dann den Gefallen tun, diesen Dodo ein, zwei Tage lang noch in Ruhe zu lassen
…?«
»Eigentlich wollte ich heute abend zu ihm gehen«, entgegnete ich. »Samstag abends ist er immer zu Hause, weil’s da irgendwas im Fernsehen gibt, das er unbedingt sehen muss.«
»Nur bis nächste Woche. Zeit zum Abkühlen, ja? Das ist für alle Beteiligten das Beste, mein lieber Junge.«
Ich sah Silas an. Sein Rat war zweifellos gut, aber ich kochte und konnte es nicht erwarten, dem verleumderischen Schwein gegenüberzustehen. Silas starrte zurück, ohne nachzugeben. »Wenn es unbedingt sein muss«, sagte ich schließlich.
»Du wirst deine Entscheidung nicht bedauern«, sagte Silas.
»Ich werde mit dem Alten darüber reden. Und über dich.«
»Es war nett von dir, dass du dir Zeit für mich genommen hast, Silas.«
»Warum bleibst du nicht zum Abendessen? Wir könnten eine Partie Billard spielen.« Das Taschentuch in der Hand, hielt er inne wie vom Schlag getroffen, und für einen schrecklichen Augenblick glaubte ich, dass ihm irgend so was tatsächlich passiert wäre, doch dann nieste er.
»Du gehörst ins Bett,
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