Geködert
Straßen, in deren Schlaglöchern vom Winterdauerregen ockerfarbene Pfützen standen. Die ganze Gegend wirkte seltsam unfertig. Halbfertige Neubauten, oft nur das graue Betonskelett mit den Drahtgittern, standen neben halb verfallenen alten Bauernhäusern. Leitern, angeschlagene Bidets und ausrangierte Badewannen begrenzten die Olivenhaine. Sandhaufen, von den Regenstürmen ausgewaschen, lagen neben Ziegeln, verzinkten Blechplatten und halb aufgebauten Gerüsten. Wo der Bauer entdeckt hat, dass nichts lohnender ist als der Anbau von Ferienwohnungen, läßt der Dreck der Großstädte nicht lange auf sich warten.
Doch »Le Mas des Vignes Blanches« war keines dieser Zweithäuser. Es stand auf einem südwärts gelegenen Hügelvorsprung, und einst hatte der glückliche Besitzer von diesem Haus aus sicher den Ausblick auf seine Weinberge genossen. Jetzt waren die Hügel von den Auswüchsen der zunehmenden Besiedlung entstellt, einer Krankheit, die nur noch bösartiger wirkte durch den blaßblauen Meereshorizont über der nächsten Hügelkette.
Eine Buchsbaumhecke umgab das Haus, doch das hölzerne weiße Gartentor war offen, und so fuhr ich in die kiesbestreute Einfahrt. Das Hauptgebäude war sicherlich mindestens hundert Jahre alt. Es war in provenzalischem Stil errichtet, zweigeschossig mit geschlossenen Fensterläden, von Weinreben umsponnen, mit Palmen, deren Wedel im Wind schlugen, neben der Haustür und einem üppig wuchernden Kaktus, der bedrohlich aussah wie eine riesige Meereskrake.
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Hinter dem Haus bemerkte ich einen mit Katzenköpfen gepflasterten Hof, der für diese Gegend ungewöhnlich blank geschrubbt war. Aus der Garage ragten die Hecks eines großen Mercedes und eines blaßblauen BMW hervor. Dahinter lag ein großer Garten mit säuberlich beschnittenen und an die Wände spalierten Obstbäumen. Der Rasen fiel mir besonders auf. In dieser Gegend, wo die Sonne unerbittlich vom Himmel sticht, beweist ein gepflegter Rasen die ungewöhnliche gärtnerische Leidenschaft, die fremde Herkunft oder den Reichtum des Besitzers.
Auf der geschützten kleinen Terrasse vor dem Haus standen verschiedene Gartenmöbel: Liegestühle und an einem großen Tisch mit gläserner Platte moderne, verwegen gebogene Metallsessel. Doch obwohl die Sonne schien, war der Tag nicht unbedingt dazu geschaffen, im Freien zu sitzen. Der Wind wehte unablässig, und seine Stöße beugten sogar die Kronen der Pinien an den Hängen ringsum. Gloria schlug den Mantelkragen hoch, während wir vor der Haustür darauf warteten, dass jemand unser Klingeln erhörte.
Die Frau, die uns öffnete, war etwa vierzig Jahre alt. Sie war anziehend auf die einfache und ehrliche Weise, die man als Städter auf dem Lande zu finden hofft, eine kräftige, starkknochige Frau mit lebhaften, intelligenten Augen. Sie hielt es offensichtlich nicht für nötig zu verbergen, dass ihr Haar schon grau wurde. »Frau Winter?« sagte ich.
»Mein Name ist Winter«, sagte sie. »Aber ich bin Ingrid.«
Sie bat uns herein und fügte ihrer Erklärung noch hinzu: »Dass mein Vorname mit dem gleichen Buchstaben anfängt wie der meiner Mutter, führt gelegentlich zu Verwechslungen.«
Nachdem sie unser billiges Mietauto gemustert hatte, sah sie Gloria neugierig an. Sicherlich versuchte sie die Natur unseres Verhältnisses zu erraten. »Sie wollen meine Mutter sprechen.
Sie sind doch Mr. Samson?« Sie sprach ausgezeichnet englisch, und der minimale Akzent klang eher deutsch als
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französisch. Sie trug ein altmodisch geschnittenes, langes Kleid mit hohem Spitzenkragen und Spitzenmanschetten, grün mit einem Jugendstil-Blumenmuster. Es war nicht leicht zu sagen, ob sie damit hoffnungslos altmodisch oder nach der neuesten Insider-Mode gekleidet war.
»Ganz recht«, sagte ich. Ich hatte geschrieben, ich sei ein alter Freund von Lisl, Schriftsteller, und recherchierte für ein Buch, das von dem Berlin der Vorkriegszeit handeln sollte. Da ich ohnedies gerade in der Gegend sei, hatte ich weiter geschrieben, hoffte ich, einen kurzen Besuch machen zu dürfen, um von jenen Jahren in Berlin mit ihr zu plaudern. Eine Antwort auf meinen Brief hatte ich nicht erhalten. Sie hatten vielleicht gehofft, ich würde nicht kommen.
»Bitte geben Sie mir Ihre Mäntel. Es ist so kalt heute.
Normalerweise kann man um diese Jahreszeit schon auf der Terrasse essen«, sagte sie. Ihre Nägel waren kurz geschnitten und gepflegt, aber den geröteten Händen war die Hausarbeit anzusehen. Sie
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