Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geködert

Geködert

Titel: Geködert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Len Deighton
Vom Netzwerk:
Kaffee.
    »Sie wusste schon, ehe Sie hier ankamen, wer Sie wirklich sind. Sie hat vor langer Zeit Ihren Vater gekannt. Vor dem Krieg, sagt sie. Sie hat mir erzählt, dass Ihr Vater ein englischer Spion war. Sie sagt, dass Sie wahrscheinlich auch einer sind.«
    »Sie ist eine sehr alte Frau.«
    »Mama sagt, dass Ihr Vater ihren Mann umgebracht hat.«

    - 116 -
    »Das hat sie gesagt?«
    »Genau mit diesen Worten. ›Der Vater dieses Mannes hat meinen lieben Mann umgebracht‹ hat sie gesagt, und dass ich mich vor Ihnen in acht nehmen soll.«
    »Ich weiß Ihre Offenheit zu schätzen, Frau Winter, aber ich habe wirklich keine Ahnung, wovon Ihre Frau Mutter da redet.
    Mein Vater war Offizier der britischen Armee, aber nicht bei einer kämpfenden Einheit. Nach dem Krieg war er in Berlin stationiert, und in der Zeit könnte sie dort seine Bekanntschaft gemacht haben. Vor dem Krieg war er Handlungsreisender. Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass sie ihn schon vor dem Krieg gekannt hat.«
    Ingrid Winter zuckte mit den Achseln. Sie würde sich niemals für die Zuverlässigkeit der Behauptungen ihrer Mutter verbürgen.
    Eine Hupe ertönte, und ich stand auf. Als Ingrid Winter mir meinen Mantel reichte, sprachen wir wieder über das launische Wetter. Beim Abschied fragte ich mich, warum wohl ihre Mutter gesagt hatte, mein Vater habe ihren »lieben Mann«
    getötet, anstatt: »Der Vater dieses Mannes hat deinen Vater getötet«. Ich wusste nicht viel von Inge Winters Mann außer dem wenigen, das ich von Lisl gehört hatte: dass Paul Winter Beamter an einem Berliner Ministerium gewesen und kurz nach dem Krieg irgendwo in Süddeutschland gestorben war.
    Nun, nachdem ich Ingrid kennengelernt hatte, von deren Existenz Lisl keine Ahnung zu haben schien, konnte ich nur sagen, dass mir noch sehr viel an der Familie Winter rätselhaft war, nicht zuletzt die Frage, was mein Vater mit ihr zu tun gehabt haben mochte.

    - 117 -

9
    Den letzten Abend unseres hektischen provenzalischen Wochenendes verbrachten wir bei einem »Onkel« von Gloria, der in der Gegend wohnte. Tatsächlich war der Mann kein Blutsverwandter, aber er war ein alter Freund ihrer ungarischen Eltern, und Ungarn im Exil sind eine große Familie aus lauter verrückten, kongenialen und anstrengenden Persönlichkeiten, die, egal, wie zurückgezogen sie leben, immer erstaunlich gut über die Aktivitäten ihrer »Verwandten« informiert sind.
    Er nannte sie Zu. So wurde sie von allen ihren ungarischen Freunden genannt. Zu war die Kurzform von Zsuzsa, ihrem Taufnamen. Glorias ungarischer Onkel lebte in einer halbverfallenen Hütte, die einsam an einem Hang stand, zwischen Weinreben und einer verlassenen Ölmühle. Neben der Hütte lag ein kleiner Küchengarten, wo jetzt Nacktschnecken die letzten Blätter des Wintergemüses vom vergangenen Jahr abfraßen, und vor der Tür, am Rande eines Abwassergrabens, stand ein zerbeulter 2 CV, von dessen Scheinwerfern einer fehlte.
    Vorgestellt wurde mir Glorias Onkel als »Dodo«, und nach dem kräftigen Händedruck zu urteilen, mit dem er mich willkommen hieß, war ihm der Spitzname nur recht. Auf den ersten Blick schien dieser Mann um die sechzig zu sein, ein kleiner, dicker und temperamentvoller Typ, den jeder Regisseur sofort für die Rolle des liebenswerten ungarischen Exilanten engagieren würde. Er hatte volles, schneeweißes Haar, das er glatt zurückgebürstet trug, und einen großen struppigen Schnurrbart von eher grauer Farbe. Sein Gesicht war rot, vielleicht weil er offensichtlich gern trank, denn die ganze Behausung war voller leerer und voller Flaschen, und er schien schon recht angeheitert, als wir kamen. In welchem Maße der genossene Alkohol seine sprachlichen Fähigkeiten steigerte, weiß ich nicht, jedenfalls war sein Englisch

    - 118 -
    ausgezeichnet und außer der ohne Ansehen der Person gebrauchten Anrede »Darling« auch nicht von irgendwelchen exotischen Eigentümlichkeiten geprägt.
    Er trug eine alte, braune Cordhose, die hier und da schon bis auf das Futter abgeschabt war, und einen zottigen roten Rollkragenpullover, der ihm fast bis auf die Knie reichte. Seine Stiefel hatten Reißverschlüsse an den Innenseiten der Schäfte und zehn Zentimeter hohe Absätze. Er reichte uns gefüllte Weingläser und führte uns zu einem langen, durchgesessenen Sofa vor dem flackernden Kaminfeuer und redete ohne Atempause.
    Sein Haus stand ungefähr dreißig Kilometer weit entfernt von Le Mas des Vignes Blanches, wo die

Weitere Kostenlose Bücher