Geködert
nehme an, sie war an ihn gewöhnt.
Er hantelte sich an der Brüstung entlang, als er ins Zimmer zurückging. Trotzdem rannte er gegen das Fliegengitter und stieß sich den Kopf an der Kante der geöffneten Schiebetür.
Gloria ließ sich von seinen lautstarken Versicherungen, dass das keineswegs notwendig sei, nicht davon abhalten, in die Küche zu gehen und abzuwaschen. In dem Bemühen zu beweisen, was für ein gutherziger und harmloser Knabe ich sei, versuchte ich, ihr zu folgen, doch er hielt mich am Ärmel zurück.
»Laß sie nur machen, Darling«, sagte er unwirsch. »Zu macht immer, was sie will. Ich kenne sie schließlich schon lange.« Er goß mir Wein und sich selbst Cognac nach.
»Wunderbares Mädchen.«
»Ja, das ist sie«, sagte ich.
»Du hast Glück. Weißt du das?« Seine Stimme war weich, doch seine Augen waren hart. Ich war jeden Augenblick auf einen Angriff gefasst, und er wusste das, es schien ihn auch nicht wenig zu amüsieren.
»Doch, das weiß ich.«
Er wurde plötzlich still. Er starrte durch die Glastüren auf die Lichter in den Hügeln. Orange Lichter, blaue Lichter und hier und da Autoscheinwerfer, die plötzlich aufleuchteten und ebenso plötzlich wieder verschwanden, wie Glühwürmchen in einer Sommernacht. Die schöne Aussicht schien unversehens einen tiefen Wandel seiner Stimmung zu bewirken. Vielleicht ist das so bei Leuten, die den größten Teil ihrer Zeit damit verbringen, ein und dieselbe Landschaft zu studieren, ihre Farben, Strukturen, Veränderungen. Jedenfalls war seine
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Stimme nüchtern, als er sagte: »Genieße jede Minute. Denn du wirst sie verlieren.«
»So?« Ich schaffte es, meine Stimme nicht überschnappen zu lassen.
Er nippte an seinem Cognac und lächelte traurig. »Natürlich betet sie dich an. Das sieht ein Blinder mit dem Krückstock.
Ich habe es gesehen in dem Augenblick, als ihr hier hereinkamt. Sie hat nur Augen für dich. Aber sie ist noch ein Kind. Ich meine, sie hat ihr ganzes Leben noch vor sich. Und wie alt bist du? Über vierzig, nicht?«
»Ja«, sagte ich.
»Sie will unbedingt studieren. Und davon wirst auch du sie nicht abbringen. Sie wird also auf die Universität gehen. Und da wird sie geistreiche und hochbegabte Leute in ihrem Alter kennenlernen, und weil sie alle miteinander an der Universität studieren, werden sie schließlich alle miteinander den gleichen schauerlichen Geschmack und die gleichen noch nicht durchgebackenen Meinungen haben. Wir sind doch Fossilien, Relikte einer versunkenen Welt, der Welt der Dinosaurier.« Er leerte sein Glas und goß sich neu ein.
Er konnte ganz schön gehässig sein. Ich merkte, dass er mich verletzen wollte. Und da er so freundlich tat dabei, war es auch nicht leicht, ihm Kontra zu geben.
Ich sagte: »Ja, schönen Dank, Dodo. Aber so, wie ich es sehe, bist du zwar unbestreitbar ein alter Tyrannosaurus, ich dagegen bin eine junge, dynamische, geistreiche und hochbegabte Persönlichkeit im besten Mannesalter und Gloria ein unreifer Teenager.«
Er lachte laut genug, mir das Trommelfell platzen zu lassen, und hielt sich an meiner Schulter fest, um nicht vor Lachen vom Stuhl zu fallen.
»Zu, Darling!« schrie er. »Wo hast du nur diesen Verrückten her?«
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Sie kam aus der Küche, sich die Hände an einem Geschirrtuch trocknend, auf dem man die Mona Lisa eine dicke Zigarre rauchen sah. »Machst du irgendeine Diät, Dodo?«
fragte sie. »Wie kannst du bloß drei Dutzend Eier essen?«
Für einen Augenblick schien er sprachlos, aber dann sagte er stammelnd, die Eier seien hervorragend, er kriege sie von einem Bauern in der Nähe, der sie aber nur in größeren Mengen abgebe. »Nimm dir ein paar mit«, sagte er.
»Ich mach’ mir nicht soviel aus Eiern«, sagte Gloria. »Sie sind auch für dich nicht gut.«
»Unsinn, Darling, vollkommener Unsinn. Ein
frischgelegtes, weichgekochtes Ei ist so ziemlich das leichtest verdauliche Protein, das es gibt. Ich liebe Eier, und man kann sie auf so viele köstliche Arten zubereiten.«
»Na, so frisch gelegt werden aber die letzten von den drei Dutzend nicht mehr sein«, sagte Gloria mit entwaffnender weiblicher Logik. Sie lächelte. »Ich glaube, wir müssen jetzt gehen, Dodo.«
»Bleibt doch noch einen Augenblick, Darling«, bat er. »Ich habe in letzter Zeit so selten Besuch, und du hast mir überhaupt noch nichts von deinen Eltern erzählt und den anderen Londoner Freunden.«
Also blieben wir noch ein bisschen, und Gloria erzählte von der
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