Geködert
Misstrauen sich breitmacht in ihrer Seele. An diesem Abend fuhr sie nicht wie jeden Donnerstag zu ihren Eltern, da diese zu einem Zahnärztekongreß nach Madrid verreist waren.
»Im Yellow Submarine«, sagte ich. Wir waren zu Hause und wollten gerade essen. Ich sah mir noch eben die Sieben-Uhr-Nachrichten im Channel Four an. Heftige Stürme »verheerten die Küste« und verursachten das »Chaos«, das
freundlicherweise das Wetter immer anrichtet, wenn die Kamerateams keine echten Nachrichten im Kasten haben. Wie um mir zu zeigen, dass die Meldung stimmte, klapperten die Fensterscheiben, und der Wind pfiff laut durch die kleinen Bäume unseres winzigen Gartens.
Auf dem Weg ins Eßzimmer stellte Gloria zwei Gläser gekühlten Weißweins auf den Anrichtetisch. Sie bemühte sich, mir den Schnaps abzugewöhnen. »Ach, im U-Boot?« sagte sie mit einem leichten Lächeln und einem Ton, aus dem unmissverständlich dieses boshafte, einseitige Vergnügen sprach, für das die Deutschen das Wort Schadenfreude haben.
»Wie entsetzlich!« Sie lachte.
»Gummi-Sandwiches aus dem Dinky Deli«, fügte ich hinzu, um ihr Vergnügen zu vervollkommnen.
»Aber du warst erst kurz vor vier zurück«, rief sie. Ich konnte sehen, wie sie im Eßzimmer den Tisch deckte. Sie tat es mit der gleichen Sorgfalt, die sie auf alles andere auch verwendete. Messer, Gabeln, Löffel wurden an den Platzdeckchen ausgerichtet. Servierlöffel bewachten Salz, Pfeffer und Senf. Die Servietten wurden gefaltet und mit mathematischer Akkuratesse in Position gebracht. Zufrieden mit dem Tisch kam sie dann zurück zu mir, setzte sich auf eine Armlehne des Sofas und nahm einen kleinen Schluck aus ihrem Weinglas.
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»Ich hatte eine Verabredung um vier … mit Dicky.« Ich schaltete das Fernsehgerät ab. In diesen Abendsendungen wurden sowieso nur altbekannte Ereignisse wiedergekäut.
Vermutlich müssen die Nachrichten gestreckt werden, damit die vorgesehene Zeitspanne ausgefüllt ist.
»Den ganzen Nachmittag warst du unten? Was hast du denn da bloß getrieben?«
»Ich habe ein bisschen in den Akten gekramt. So was mache ich gelegentlich.«
»Jim Prettyman?«
Sie kannte mich zu gut. »In der Richtung«, gab ich zu.
»Hast du was gefunden?«
»Immer wieder dasselbe. Hast du jemals von einem arktischen Code gehört?«
»Das nicht, aber im vergangenen Jahr sind ein Dutzend neue Codestufen eingeführt worden. Und ein paar neue Datenbanknamen der höchsten Stufe kommen neuerdings jeden Monat dazu.«
»Bei mir hieß es immer: Zugang verweigert, ganz gleich, wie ich es probierte.«
»Du meinst, du hast versucht, auf verschiedenen Wegen an ein und dieselben Daten ranzukommen?«
»Eine gute Stunde habe ich damit vertan.«
»Ich wünschte, du hättest mir was davon gesagt, Liebster«, sagte sie mitleidig.
»Wieso?«
»Ich kenne mich doch mit diesen Maschinen aus. Ich habe einen ganzen Monat da unten zugebracht, bis du mich erlöst hast, das weißt du doch.«
»Ich habe mit diesen Maschinen gearbeitet, schon …« Fast hätte ich gesagt, ehe sie geboren wurde, aber den Altersunterschied zwischen uns wollte ich nicht unbedingt noch betonen, und so beendete ich den Satz ziemlich lahm: »…
Vor Jahren.«
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»Dann solltest du Bescheid wissen über den
Schnüffelschutz«, sagte sie.
»Was zum Teufel ist denn das nun wieder?«
»Wenn du eine richtige Ausbildung gemacht hättest, anstatt einfach aufs Geratewohl loszutippen, würdest du nicht solchen Blödsinn machen.«
»Wovon redest du?« sagte ich.
»Jedesmal, wenn du den Zugang verweigert kriegst, speichert die Maschine das ebenso wie deine Nummer und deinen Namen.«
»Wirklich?« fragte ich, während sie auf den Flur hinausging und nach oben rief, wo Billy und Sally unter Doris’ Aufsicht mit ihren Schularbeiten hätten beschäftigt sein sollen.
»Essen, Kinder! Bist du soweit, Doris?«
Dann kam sie ins Zimmer zurück. »Und das ist noch nicht alles. Jede Datei, zu der dir der Zugang verweigert wird, wird ebenfalls gespeichert. Wenn die Datensicherheitsbeauftragten demnächst ihr Analyseprogramm durchlaufen lassen, können sie genau sehen, wo du unbefugt rein wolltest.«
»Davon hatte ich keine Ahnung.«
»Offensichtlich nicht, Liebster.« Ein Küchenwecker klingelte, und mit einem ungarischen Fluch, den ich jetzt schon wiedererkannte, wenn ich ihn hörte, ging sie in die Küche, das Essen zu holen.
Ich folgte ihr, und während sie die leuchtend bunt emaillierten Töpfe vom Herd auf
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