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Geködert

Geködert

Titel: Geködert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Len Deighton
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langweilig hier draußen.«
    »O Gott!« sagte ich. »Natürlich ist es das. Weiß sie denn nicht, dass wir deshalb rausgezogen sind?«
    »Sie hatte in der Innenstadt ihre Freunde, ging in die Disco.«
    »Doris hatte Freunde?«
    »Sei kein Aas.«

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    »Sie kann doch mit der Bahn in die Stadt fahren.«
    »Einmal in der Woche. Sie hat nicht viel Abwechslung. Sie ist noch jung.«
    »Wir sind alle noch jung«, sagte ich. »Glaubst du, ich würde nicht auch gerne mit Doris’ Freunden durch die Discos ziehen?«
    »Mit deinen blöden Witzen richtest du gar nichts aus«, sagte Gloria hartnäckig. »Für uns wird es das reinste Chaos, wenn sie geht. Es wird nicht leicht sein, jemanden zu finden, der so gut mit den Kindern zurechtkommt wie sie.« Draußen rauschte der Regen in den Apfelbaum und prasselte gegen die Scheiben, und der Wind fegte um den Schornstein und pfiff durch die Fernsehantenne. »Ich werde sehen, was die Stellenvermittlung zu bieten hat, aber in dieser Gegend werden wir vermutlich mehr zahlen müssen. Die Frau in der Vermittlung hat gesagt, dass die Löhne hier durchweg höher liegen als in der Stadt.«
    »Natürlich hat sie das gesagt«, sagte ich.
    Dann klingelte das Telefon auf meinem Nachttisch. Ich ging um das Bett herum und nahm den Hörer ab. Es war Werner.
    »Ich muss dich sehen«, sagte er. Er klang erregt, jedenfalls so erregt, wie der phlegmatische Werner zu klingen imstande war.
    »Wo bist du denn?« fragte ich.
    »Ich bin in London. In einem kleinen Apartment an der Ebury Street, in der Nähe der Victoria Station.«
    »Verstehe ich nicht.«
    »Ich bin nach Gatwick geflogen.«
    »Was ist denn passiert?«
    »Wir müssen uns sprechen.«
    »Wir haben ein Gästezimmer. Hast du einen Wagen?«
    »Komm lieber her, Bernard.«
    »Zur Victoria Station? Da bin ich mindestens eine halbe Stunde unterwegs. Wahrscheinlich länger.« Die Vorstellung, noch mal nach London hineinfahren zu müssen, fand ich entsetzlich.

    - 163 -
    »Es ist ernst«, sagte Werner.
    Ich legte die Hand über die Sprechmuschel. »Es ist Werner«, erklärte ich. »Er sagt, er muss mich sehen. Er würde das nicht sagen, wenn es nicht wirklich dringend wäre.«
    Gloria zuckte nur mit den Achseln und schloss die Augen.

    - 164 -

12
    Der Wandel, den manche von den kleinen Hotels in der Ebury Street durchgemacht hatten, seitdem ich zuletzt in der Gegend war, überraschte mich. Die Gegend war früher eine Art Niemandsland, wo die mit Rucksäcken beladenen Horden vom Busbahnhof den feinen Leuten von Belgravia begegneten. In einem merkwürdigen und typisch englischen Nebeneinander bot die Ebury Street teure kleine Boutiquen und schicke Restaurants, gleichzeitig billige Schlafgelegenheiten für den preisbewussten Reisenden. Aber der Fortschritt ist unaufhaltsam, und so hatte Werner dort eine kleine, aber luxuriös eingerichtete Suite gefunden (»all major credit cards accepted«) mit Zimmerservice rund um die Uhr und garantierter Sicherheit, Gummibäumen in der Eingangshalle und Dom Perignon im Kühlschrank.
    »Hast du schon gegessen?« fragte Werner, als er mir die Tür öffnete.
    »Nicht direkt.«
    »Gut. Ich habe uns einen Tisch bestellt. Es ist gleich hier um die Ecke. In dem Magazin, das sie im Flugzeug verteilen, war eine begeisterte Kritik darüber.«
    »Toll«, sagte ich.
    »Nein, wirklich«, sagte Werner, »ich glaube, es könnte gut sein.« Er sah auf seine Uhr. Er war aufgeregt, ich kannte die Anzeichen. »In dem Magazin stand, dass die frische Lachs-Mousse dort sehr gut ist«, sagte er, als sei er davon nicht ganz überzeugt.
    »Wie hast du dieses Hotel gefunden, Werner?« Er war mein bester Freund, aber ich habe Werner nie so verstanden, wie ich Leute verstehe, die ich lange kenne. Er war nicht nur verschlossen. Er verbarg seine wahren Gefühle, indem er andere vortäuschte. Wenn er glücklich war, sah er traurig aus.
    Wenn er einen Witz erzählte, schaute er dabei finster, als sei

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    ihm das Lachen verhasst. Siegte er, sah er aus wie ein Verlierer. War das ein jüdischer Charakterzug? Meinte er, er müsse seine wahren Gefühle vor einer feindlichen Welt verbergen?
    »Das hier ist ein Apartment, ein Apartment mit Service, kein Hotel«, berichtigte er mich. Natürlich haben die Reichen mehr Wörter als unsereins, denn ihnen stehen mehr Güter und Dienstleistungen zur Verfügung. »Ein Mann, mit dem ich bei Kleinwort Benson geschäftlich zu tun habe, hat mir angeboten, es zu benützen. Er braucht es selbst nur, wenn er

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