Gekroent
nur der Findling erhörte ihren Ruf. Jedes Stücken Selenit im gesamten Usgaran erstrahlte in herrlichem, rasendem Licht.
Morrigan hob die Arme. Sie schwelgte in ihre Leidenschaft und der Macht, die um sie und durch sie pulsierte.
Ja! Beanspruche deine Macht. Beanspruche dein Schicksal.
„Ich beanspruche, was mein ist. Ich bin Hohepriesterin, und es ist mein Licht, das hier für jeden leuchtet, dem Schmerzen zugefügt oder ein Unrecht angetan worden ist.“
Ich bin keine Außenseiterin und Waise mehr, fügte sie stumm hinzu.
In dem Augenblick, in dem Morrigan den Usgaran betrat, spürte Kegan das erwartungsvolle Surren der Kristalle. Es strich über ihn wie der kühle Atem einer Geliebten auf schweißnasser Haut. Er beobachtete sie, wie sie auf den heiligen Findling zuging, und bemerkte überrascht und bestürzt den Blick, mit dem sie ihn musterte. Als sie endlich mit dem Ritual begann, klang ihre Stimme leidenschaftlich, als wäre sie von Myrnas Tod tief getroffen. Sie war so emotional, dass sie zwischendurch nicht weitersprechen konnte und Birkita das Gebet für sie vollenden musste.
Morrigan ergriff wieder das Wort, und ihr Ton war nun komplett anders. Ihre Stimme war von intensiver Wut erfüllt, die besser zu einer Schlacht als zu einem Begräbnis passte. Als sie die Augen öffnete und den Kristallen befahl zu leuchten, passierte das mit einer Wildheit, die Leidenschaft und Zorn ausdrückte, aber nicht Trauer und Verlust.
Die Kristalle waren nicht das Einzige, was aufleuchtete. Morrigan entflammte ebenfalls. Rauchige Wolken der verbrennenden Kräuter hingen süß duftend in der Luft, und das Licht der Kristallefing den feinen, sich kräuselnden Dunst ein und ließ den gesamten Raum wie eine seltsame Unterwasserwelt wirken. Morrigan stand in der Mitte dieses Meeresreiches, eine überwältigende, in Licht gekleidete Göttin. Macht pulsierte um sie und hob mit seiner elementaren Stärke ihre Haare an. Kegan stieß den angehaltenen Atem aus, während er gebannt beobachtete, wie sie ihr Schicksal einforderte. Der Schamane in seinem Geist reagiert sofort auf sie. Morrigan war definitiv nicht Myrna. Rhiannons Tochter war schön und intelligent, sogar süß gewesen, geliebt von ihren Eltern und zufrieden damit, dass ihr Schicksal nicht darin bestand, der Göttin zu dienen.
Die Frau, die da vor ihm erstrahlte, ließ Myrna wie eine unvollendete, schlecht gezeichnete Kopie des Originals wirken. Ihr Licht schien ihm den Weg zu weisen und zog ihn mit einer solchen Macht an, dass seine Gefühle für Myrna im Vergleich dazu schwach und inhaltslos wirkten.
Natürlich hatte er Myrna begehrt. Sie war eine attraktive Frau gewesen. Sie waren sogar Freunde gewesen und, wie Kai so unsensibel angemerkt hatte, hätte sie ihn geliebt, wäre er der mächtigste Mann in Partholon geworden. Es war nur logisch, dass er an ihr interessiert gewesen war. Was er für sie empfunden hatte, ähnelte aber in nichts dem, was er nun für Morrigan empfand. Während er sie beobachtete, schien sein Körper zu pulsieren, und er musste den Drang unterdrücken, sie zu berühren – zu ihr zu gehen und den Wandel anzurufen, damit er seine menschliche Gestalt bekam und sie gleich dort auf dem Boden des Usgaran nehmen konnte. Er spürte ihre Hitze, ihre Leidenschaft und ihre Macht in den Steinen, die sie umgaben, und er begehrte sie mit einer Intensität, die er noch für kein weibliches Wesen, ob menschlich oder zentaurisch, zuvor empfunden hatte.
Zu seiner Rechten ertönte ein seltsames, ersticktes Keuchen, und er schaute in die Richtung und sah, dass Kai Morrigan mit einer Mischung aus Verwunderung und Trauer beobachtete. Wut erfüllte den Zentauren. Er wusste, dass sie ungerechtfertigt war. Er wusste, dass er kein Anrecht auf sie hatte, aber er wollte nicht, dass irgendein anderer Mann sich zu Morrigan hingezogen fühlte, selbst wenn es nur der Steinmeister war, der sie vermutlich lediglich anstarrte, weil ihre bizarre Ähnlichkeit mit Myrna ihn überwältigte.
In diesem Moment rief Morrigan: „Heil dir, Adsagsona!“
Die Priesterinnen wiederholten den Ruf, und das Ritual war zu Ende. Morrigan senkte die Arme und warf ihr Haar zurück. Ihr Körper hatte seinen Glanz beinahe, aber nicht völlig, verloren. Kegan dachte, dass sie ein wenig verwirrt aussah. Sie stand einfach da und starrte auf den heiligen Selenitbrocken, während die Priesterinnen die rauchenden Kräuterzöpfe löschten und langsam die Höhle verließen, wobei sie ihrer
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