Gekroent
Als ich älter wurde, änderten sich meine Gefühle, und heute weiß ich mein von der Göttin gegebenes Talent zu schätzen. Damals wollte ich aber einfach nur Krieger werden.“
„Aber du hast doch eben gesagt, dass du ein Krieger bist. Du musst deine Ausbildung am Schwert also fortgesetzt haben.“
„Stimmt. Zur großen Verwirrung meiner Eltern und meines Bildhauerlehrers. Sie fürchteten, ich würde mir einen Finger abhacken.“
Morrigan lachte, als er seine Hände hob, mit den Fingern wackelte und dann einige abknickte, so als hätte er sie abgeschnitten.
Er lachte mit ihr. Dann wurde er ernst und sagte: „Aber nie war ich so dankbar für meine Talente wie heute. Wäre ich nicht Partholons Meisterbildhauer, hätte man mich nicht gebeten, Kai hierherzubegleiten und die Statue für Myrna anzufertigen. Dann hätte ich dich nicht kennengelernt.“
Morrigan nickte abwesend und griff nach einem schlaffen Beutel, der mit einem Korken versehen war. Sie öffnete ihn vorsichtig, schnupperte am Inhalt und nahm einen Schluck des süßen, kühlen Weins. Dabei überlegte sie, wie sie ihre nächste Frage formulieren sollte. Endlich schaute sie auf und sah, dass Kegan sie beobachtete.
„Wie gut kanntest du Myrna?“
„Ziemlich gut. Ich habe ihr den Hof gemacht.“
Morrigan verspürte einen Stich. „Du warst mit Myrna zusammen?“
„Nein. Es wäre passender zu sagen, dass ich versucht habe, mit ihr zusammen zu sein. Myrna war jedoch nie an mir interessiert oder an einem der anderen Zentauren, die sie umworben haben. Sie kannte den Mann, den sie schließlich heiratete, schon seit sie beide noch Kinder waren. Er hat ihr Herz früh für sich gewonnen und es behalten. Das war Lady Rhiannon meines Wissens gar nicht recht. Doch nachdem die beiden erst einmal vermählt waren, schien er akzeptiert worden zu sein.“
„Warte mal. Myrnas Eltern waren mit ihrem Ehemann nicht einverstanden?“
Kegan steckte sich ein Stück Käse in den Mund und sagte: „Dass Lady Rhiannon nicht erfreut war, ist nur mein Eindruck. Wenn du die Wahrheit wissen willst, musst du Kai fragen. Er steht Eponas Auserwählter und ClanFintan sehr nahe. Ich glaube, sie hatten gar nichts gegen Grant, sondern ihnen gefiel es nicht, dass Myrna sich einen Menschen zum Partner erwählt hatte.“
Morrigan verstaute das, was Kegan über Kai gesagt hatte, sorgfältig in einer Ecke ihres Gehirns. Dann erinnerte sie sich an das,was Birkita ihr über Zentauren und Eponas Auserwählte erzählt hatte, und mit einem Mal verstand sie den Sinn hinter Kegans Worten. „Myrnas Wahl eines menschlichen Partners bedeutete, dass sie nicht die Nachfolge ihrer Mutter als Auserwählte Eponas antreten würde.“
Kegan nickte und kaute nachdenklich auf einem weiteren Stück Käse. Dann sagte er: „Du siehst aus wie sie.“
Morrigan hatte sich zwar gedanklich darauf vorbereitet, dass so etwas kommen würde, trotzdem wurde ihr Körper bei seinen Worten taub. „Ich sehe aus wie Myrna?“, fragte sie und versuchte, ihrer Stimme die richtige Dosis Ungläubigkeit zu verleihen.
„Ja, und auch wie Lady Rhiannon. Myrna sah ihrer Mutter sehr ähnlich.“
„Was meinst du, wir haben die gleiche Haarfarbe, Augen oder so?“, fragte sie leichthin.
Kegan gab ein Schnauben von sich. „Alles ist gleich. Myrna und du, ihr könntet Zwillinge sein. Ihr seht aus, als wäret ihr aus dem Schoß derselben Mutter geboren.“
Morrigans Magen zog sich zusammen. „Das ist unmöglich. Meine Mutter ist bei meiner Geburt gestorben.“
„Das tut mir leid.“
„Danke.“ Morrigan warf ihr Haar nach hinten und trank noch einen Schluck Wein. „Wie auch immer, manche Leute sehen einander einfach ähnlich.“
„Es ist entschieden mehr als das. Abgesehen von dem Unterschied, den deine Gabe als Lichtbringerin mit sich bringt, seid ihr beide beinahe identisch.“
Morrigan sah ihn skeptisch an. „Was für einen Unterschied meinst du?“
„Sicher weißt du, wie du dich veränderst, wenn die Geister der Kristalle dich erfüllen?“ Er streckte eine Hand aus und strich mit dem Daumen über ihren Arm. „Wie das deinen sinnlichen Körper verändert – wie du strahlst, brennst, knisterst vor Leidenschaft und Macht.“
Sie erzitterte unter seiner Berührung. Er lächelte sie wissend an.
„Myrna hat niemals über solche Macht verfügt.“
Morrigan zog ihren Arm zurück und zwang sich, nicht über die Stelle zu reiben, die er gestreichelt hatte und an der sie immer nochseine Berührung spürte.
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