Gekroent
um die Ärztin der Sidetha handeln musste. Zwei jüngere Frauen standen aufmerksam an ihrer Seite, reichten ihr Instrumente und Leinentücher, wenn sie danach fragte. Schließlich traute Morrigan sich, noch weiter nach unten zu sehen.
Kai lag auf dem Rücken. Sein Kopf war bandagiert, doch dasBlut sickerte schon wieder durch das weiße Leinen. Sein Körper war teilweise zugedeckt, aber sein rechtes Bein stand vom Knie in einem seltsamen Winkel ab. Morrigan wurde noch übler, als sie merkte, dass das, was sie für ein Stück Verband gehalten hatte, in Wirklichkeit ein Stück seines Schienbeinknochens war. So schlimm diese Wunden auch waren, Morrigan wusste, die Stelle, über die die Ärztin sich beugte und auf die sie ihre Hände presste, um die Blutung zu stoppen, war noch viel schlimmer. Sie schaute auf Kais Bauchgegend und war erleichtert, dass die Hände der Ärztin und die Instrumente ihr die Sicht auf die Wunde verdeckten. Morrigans Blick ging zurück zu Kais Gesicht. Er war nicht einfach blass. Seine Gesichtshaut hatte eine entsetzlich graue Farbe. Sein Mund war halb geöffnet, sein Atem ging flach und angestrengt. Die Augen hatte er geschlossen.
Morrigan sah zu, wie Kegan sanft Kais Hand nahm. Der Zentaur beugte den Kopf über den Steinmeister und begann, rhythmisch Worte zu sprechen, die klangen, als stammten sie aus derselben Sprache wie sein Gesang zur Anrufung des Wandels. Sie zuckte erschrocken zusammen, als Kai auf einmal die Augen aufschlug und zu sprechen begann. Sie war erstaunt, dass seine Stimme so normal klang und sie ihn problemlos verstehen konnte.
„Noch nicht. Noch nicht, mein Freund.“
Kegan unterbrach seinen Gesang sofort und beugte sich näher zu seinem Freund.
„Du hast gebeten, dass ich komme. Wenn du bereit bist, die Reise zu Eponas Weiden anzutreten, nicke einfach. Ich werde dich leiten, mein alter Freund.“
„Du musst mir zuhören, Kegan.“
„Ich bin hier, Kai.“
„Sie ist von der Dunkelheit befleckt.“
Morrigan spürte Kais Worte, als hätte er ihr ein Messer in die Brust gestoßen. Sie ließ Birkitas Hand los und bewegte sich wie ferngesteuert nach vorne.
„Kai, ich verstehe dich nicht. Wer ist von der Dunkelheit befleckt?“, fragte Kegan.
Kais Augen, weit und unnatürlich glänzend, suchten den Kreis der ihn umstehenden Menschen ab, bis sein Blick sie fand.
„Es ist sie!“
Die Worte des sterbenden Mannes waren seltsam laut und ließen Morrigan zusammenzucken.
„Die Lichtbringerin trägt die Dunkelheit in sich.“
Morrigans Kopf zuckte hin und her, hin und her. Sie wusste, dass Kegan sie schockiert anstarrte, genau wie sie wusste, dass die Menschen über sie tuschelten, aber sie hatte nur Augen für Kai.
„Nein“, sagte sie immer noch kopfschüttelnd. „Nicht ich. Ich bin nicht wie sie. Grandpa hat gesagt, dass ich nicht wie sie bin. Ich bin nicht von Dunkelheit erfüllt.“
„Du bist so jung.“ Mitgefühl breitete sich auf dem schmerzverzerrten Gesicht des Steinmeisters aus. „Dein Ego blendet dich, aber die Dunkelheit ist hier. Und die Dunkelheit ist da.“ Mit zittriger, blutbefleckter Hand hob Kai einen Finger und zeigte auf sie. „Du solltest an den Ort zurückkehren, von dem du gekommen bist, und die Dunkelheit mit dir nehmen.“
Der Schmerz verwirrt ihn. Erlaube ihm nicht, dir dein Geburtsrecht abzusprechen.
„Nein!“ Panik machte sich in ihr breit, betäubte sie mit dem weißen Rauschen ihrer Schwingen, als sie Kai und die Stimme in ihrem Kopf anschrie: „Ich bin die Lichtbringerin. Ich gehöre hierher.“ Morrigan stolperte zurück, weg, nur weg von Kai.
Birkita war wieder an ihrer Seite, packte ihre Hand und hielt ihren Rückzug auf.
„Ihr müsst hierbleiben, Priesterin.“ Sie sprach mit sanfter, aber fester Stimme. „Es ist Eure Aufgabe, gemeinsam mit dem Hohen Schamanen der Seele des Steinmeisters zu helfen, die Reise zu Eponas Weiden anzutreten.“
„Hilf du ihm. Er glaubt ja nicht einmal, dass ich hierhergehöre.“ Morrigan entzog Birkita ihre Hand, wirbelte auf dem Absatz herum und rannte blind aus dem Raum. Sie schaute nicht ein einziges Mal zurück. Sie konnte nicht. Sie wollte den Zweifel und Abscheu auf Kegans Gesicht nicht sehen – und auch nicht die Enttäuschung in Birkitas Augen.
Morrigan hatte keine Ahnung, wohin sie lief, und es war ihr auch egal. Sie musste einfach nur fort von ihren Blicken. Von Kai, Kegan, Birkita, Shayla. Von allen.
Sie hätte vermutlich nach oben gehen sollen, an die Oberfläche, wo
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