Gekroent
er mir daraufhin erzählt hat, hat mich zu Tode erschreckt.
Morrigan schloss die Augen. Sie musste die Wiedergabe der Unterhaltung nicht lesen. Sie erinnerte sich nur zu gut daran – und zwar ohne das Polster kindlicher Unschuld, das damals die Wirkung seiner Worte etwas abgemildert hatte. Sie hatten alle drei zusammen am Küchentisch gesessen.
„Morrigan, ich möchte, dass du mir gut zuhörst“, hatte G-pa gesagt. Sie wusste, dass er es todernst meinte, weil er sie bei ihrem richtigen Namen nannte und nicht Morgie oder altes Morgiemädchen. Sie erinnerte sich auch daran, dass ihr Magen sich bei seinem Ton schmerzhaft zusammengezogen hatte.
„Glaubst du, ich bin verrückt, weil ich den Wind höre?“, war es aus ihr herausgeplatzt.
„Nein, Liebes!“ G-ma hatte ihre Hand getätschelt. „Grandpa, sag ihr, dass wir ihr glauben und sie nicht für verrückt halten.“
„Nein“, grummelte er. „Du bist nicht verrückt. Wir glauben dir,dass du im Wind Stimmen hören kannst.“ Er seufzte und rieb sich die Augen hinter der Brille. „Es ist wie damals, als du als kleines Kind Steine und Bäume mit Herzen darin gemalt hast. Erinnerst du dich noch, was du uns darüber erzählt hast?“
Natürlich erinnerte sie sich. „Ich habe gesagt, dass ich Herzen in sie hineinmale, weil ich weiß, dass sie lebendig sind.“
„Genau“, sagte Grandpa. „Mit dem Wind, der zu dir spricht, ist es genauso wie damals, als du wusstest, dass Bäume und Steine Seelen haben.“
„Der Wind ist einfach nur ein weiterer Geist in der Welt?“ Sie strahlte, weil sie dachte, wenn die Stimme etwas war wie die Seelen der Bäume und Steine, dann war sie etwas Gutes. Vielleicht war eine der Stimmen, die wirklich hübsche Mädchenstimme, ja sogar die von Epona!
„So einfach ist es leider nicht“, sagte G-ma.
G-pa ergänzte: „Die Bäume und Steine sind gut, aber die Stimme, die du hörst …“
„Stimmen“, unterbrach sie sie. „Es ist nicht immer die gleiche Stimme, aber für mich ist sie immer der Wind.“
G-pa tauschte einen langen Blick mit G-ma, bevor er fortfuhr: „Du weißt, dass es Gutes und Böses auf der Welt gibt, oder?“
„Ja, wir nehmen gerade den Zweiten Weltkrieg in der Schule durch. Hitler war böse.“
„Das stimmt.“
„Und viele Kinder glauben an Satan. Er ist auch böse.“
„Ja, aber manchmal ist das Böse nicht so einfach auszumachen wie bei Hitler und Satan, genauso wie nicht alles Gute von Anfang an immer gut erscheint.“
Sie hatte die Nase krausgezogen und gesagt: „So wie Rosenkohl eklig schmeckt, aber gut für mich ist?“
Ihr Großvater hatte ein Kichern unterdrückt. „Ja, genau wie Rosenkohl.“
Morrigan erinnerte sich, dass ihr mit einem Mal klar geworden war, was er versuchte, ihr zu sagen. „Du meinst, die Stimmen des Windes könnten böse sein?“
„Nicht alle, Liebes“, hatte G-ma ihr versichert.
G-pa hatte tief eingeatmet, und sie erinnerte sich, gedacht zu haben, dass er wirklich müde aussah. Dann hatte er gesagt: „DeineMom hat Stimmen gehört. Geflüsterte Stimmen. Einige von ihnen waren gut. Sie konnte sogar Eponas Stimme hören.“
Wie erstarrt hatte sie dagesessen, voller Ehrfurcht, weil ihre Mom tatsächlich eine Göttin hatte hören können. Wenn ihre Mom Epona gehört hatte, dann könnte sie sie vielleicht auch hören! Der Rest dessen, was G-pa ihr dann sagte, war allerdings wie ein Eimer Eiswasser auf ihre Gefühle.
„Aber sie konnte auch eine Stimme hören, die dem Bösen gehörte. Sie hörte auf das, was diese Stimme sagte, und nach einer Weile veränderte sie das. Erst als du geboren wurdest, wurde ihr bewusst, dass sie einen Fehler gemacht und das Böse in ihr Leben gelassen hatte.“
„Aber du hast gesagt, meine Mom war ein guter Mensch.“ Morrigan hätte am liebsten geweint.
„Das war sie auch. Sie hatte viel Gutes in sich. Sie hat nur eine Weile zugelassen, dass es vom Geflüster des Bösen unterdrückt wurde.“
„So wie die Stimmen, dich ich höre?“
„Morrigan …“ G-pa hatte sich vorgebeugt und seine großen, rauen Hände auf ihre gelegt. „Ich denke, eine der Stimmen, die du hörst, gehört deiner Mom. Sie wollte über dich wachen. Ich denke, eine andere könnte die Stimme von Epona sein. Die Göttin stand deiner Mutter sehr nahe. Allerdings fürchte ich, auch das Böse, das deiner Mutter zugeflüstert hat, könnte versuchen, dich zu beeinflussen.“
„Wir erzählen dir das nicht, um dir Angst zu machen, Liebes“, hatte Grandma
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