Gekroent
die Selenitkristalle und schoss in ihren Körper wie eine Klangwelle. Dieses Mal zog sie die Hand nicht weg. Neugierig wartete sie auf das, was kommen mochte. Ihre Handfläche wurde warm, und als das Licht wieder anging, starrte sie auf ihre Hand, die an der Felswand ruhte.
Die Selenitkristalle darunter glühten.
Morrigan zog die Hand weg und schob sie in die Vordertasche ihrer Jeans. Die Kristalle flackerten noch einmal auf, dann verlosch das Glühen.
„Ich hab dir doch gesagt, dass es gruselig ist.“ Lori war an ihre Seite geeilt. „Auf gar keinen Fall möchte ich hier unten eingesperrt sein. Ich kann nicht glauben, dass du dir nicht die Lunge herausgeschrien hast, als er die Lichter ausgemacht hat, obwohl du da drüben ganz alleine gestanden hast.“
Morrigan lockerte ihre Schultern. „Keine große Sache. Ich meine, er hat doch gesagt, dass es nur sechzig Sekunden dauert.“ Sie versuchte, so normal wie möglich zu klingen. „Mein Bikini-Waxing letzte Woche hat länger gedauert und war Furcht einflößender.“
Lori lachte, und Morrigan versuchte, sich zu entspannen. Gena und Jaime gesellten sich zu ihnen, und zu viert folgten sie der Gruppe weiter den Weg entlang.
„Ich schwöre bei Gott, ich dachte, mir würde eine Fledermaus in die Haare fliegen, als er das Licht ausgemacht hat“, sagte Gena atemlos.
„Mir ist kalt“, jammerte Jaime. „Ich frag mich, wie lange das noch dauert.“
„Der Weg ist ungefähr eine Viertelmeile lang“, antwortete Morrigan abwesend und fragte sich, woher zum Teufel sie das wusste. Zum Glück waren alle daran gewöhnt, dass sie über das absonderlichste Zeug informiert war, sodass sich niemand wunderte.
„Gut. Dann kommen wir bald wieder nach oben“, sagte Lori.
„War das eine Fledermaus?“ Gena blickte mit zusammengekniffenenAugen an die Decke eines weiteren Doms. „Ich glaube, ich habe gerade eine Fledermaus gesehen.“
Morrigan blendete das Geschnatter ihrer Freundinnen aus. So oft sie konnte, ließ sie ihre Fingerspitzen über die glatte, feuchte Wand der Höhle gleiten. Immer wenn sie dabei Seleniteinschlüsse berührte, bekam sie einen kleinen Hitzeschlag. Sie spürte definitiv etwas im Stein, das sie nur als Empfindungsvermögen beschreiben konnte. Die Höhle lebte, und durch ein erstaunliches Wunder schien sie sie zu erkennen. Sie wurde Lichtbringerin genannt. Während sie den Weg entlanglief und die Nachhut der Gruppe bildete, fühlte sie sich, als hätte sie Oklahoma verlassen und eine andere Welt betreten – eine Welt, in die sie voll und ganz gehörte.
Wie konnte das sein? Wie konnte sie sich in einer verdammten Höhle zu Hause fühlen? Das ergab keinen Sinn, aber das taten Stimmen im Wind und tanzende Flammen auf ihren Handflächen auch nicht. Morrigan merkte, dass es langsam wärmer wurde. Anscheinend näherten sie sich dem Ausgang der Höhle. Widerstrebend schloss sie zur Gruppe auf, die sich um Kyle versammelt hatte.
„Der moderne Ausgang aus diesem System ist hier.“ Er zeigte auf den Pfad, der eine leichte Linkskurve machte. „Aber das ist eine von Menschen geschaffene Öffnung. Bevor er errichtet wurde, war der Ausgang dort.“
Kyle richtete den Strahl seiner Taschenlampe auf einen kleinen Tunnel, der vom Hauptweg abzweigte. „Früher mussten die Menschen sich dort hindurchquetschen und sich ducken. Die meiste Zeit bewegt man sich da auf Händen und Knien fort, und manchmal muss man sich sogar noch kleiner machen.“
„Bah“, sagte Gena. „So viel zum Thema Klaustrophobie. Ich würde eher umdrehen und den ganzen Weg zurückgehen, als da durchzukriechen.“
Kyle kicherte. „Dank der modernen Ingenieurskunst musst du weder noch.“
„Können wir den alten Ausgang nehmen, wenn wir wollen?“ Dieses Mal hatte Morrigan die Frage absichtlich laut gestellt. Alle drehten sich um und starrten sie an. Ihre Freundinnen sahen so entsetzt aus, wie sie es erwartet hatte. Sie kümmerte sich nicht weiter um sie, sondern hielt den Blick ruhig auf Kyles blaue Augen gerichtet und wartete auf seine Antwort.
„Meinst du nicht, es wäre etwas klaustrophobisch und grabähnlich da drinnen?“
Er leuchtete noch einmal mit seiner Taschenlampe in den engen Tunnel.
„Nein“, sagte Morrigan fest. „Ich glaube, es ist perfekt so, wie die Natur es erschaffen hat, und ich würde gerne den originalen Ausgang benutzen.“ Ihr fiel etwas ein. Sie wühlte kurz in ihrer Handtasche und nahm die Taschenlampe heraus. „Und ich habe die hier.“
Kyle
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