Gelassen durch die Trotzphase
sich allein oder auch mit anderen Kindern – und plötzlich beißt er zu. Meist weil er gern etwas haben möchte, womit gerade ein anderes Kind spielt. Es geht ganz schnell: Wenn das »Opfer« gellend aufschreit und mindestens zwei Mamas auf Luis zustürzen, ist es schon passiert.
Emily (18 Monate) hat vor kurzem erst laufen gelernt. Ihre dreijährige Schwester spielt friedlich auf dem Fußboden mit ihrer Holzeisenbahn. Emily geht mit ihren noch etwas wackeligen Schritten auf sie zu, greift in ihre Haare und reißt ihr ein ganzes Haarbüschel aus.
Moritz (24 Monate) hat sehr heftige Wutanfälle. Statt sich selbst auf den Boden zu werfen, geht er schreiend auf seine Mama oder seinen Papa los und versucht sie zu treten oder zu schlagen. Solange Moritz sich nicht beruhigt hat, ist es kaum möglich, ihn zu »bändigen«.
Die friedfertigsten Eltern stehen manchmal völlig fassungslos vor ihrem kleinen »Rambo«: Wie kann unser Kind nur so aggressiv sein? Wir machen es ihm doch nicht vor! Von wem hat er (oder sie) das bloß?
Wichtig
Auch wenn Hauen, Treten, Beißen für Ihr zweijähriges Kind noch altersgerechtes Verhalten ist, muss es doch so bald wie möglich lernen, dass das nicht erlaubt ist.
Altersgerechtes Verhalten
Kann man das Verhalten eines noch nicht einmal dreijährigen Kindes aber wirklich schon als »aggressiv« bezeichnen? Im ersten Kapitel wurde bereits erklärt, wie wichtig der Meilenstein »Einfühlungsvermögen« für die Entwicklung eines Kindes ist. Im Alter von zwei Jahren weiß ein Kind noch nicht, dass sich jemand anderer schlecht fühlt, wenn es ihm ans Schienbein tritt, an den Haaren zieht oder ihn in den Finger beißt. Solange ein Kind diesen Zusammenhang noch nicht versteht, kann man ihm keine böse Absicht unterstellen.
Hauen, Treten, Beißen – das ist also für ein zweijähriges Kind noch altersgerechtes Verhalten. Es ist nicht richtig, ein so kleines Kind als »aggressiv« zu bezeichnen.
Neugier und Kontaktsuche
Wenn es nun kein wirklich aggressives Verhalten ist, was ist es dann? Oft spielen Neugier oder der Versuch einer Kontaktaufnahme eine Rolle. Wenn der kleine Luis versucht, einem anderen Kind ein Spielzeugauto aus der Hand zu reißen, will er testen: »Das Auto will ich haben. Mal ausprobieren, ob ich es kriegen kann.« Wenn das nicht klappt, geht er einen Schritt weiter: »Vielleicht kriege ich das Auto, wenn ich beiße.«
Die kleine Emily denkt sich vielleicht: »Ich will spielen. Mal schauen, ob es spannend wird, wenn ich an den Haaren ziehe.« Wenn ihre Schwester dann laut schreit, ist das Testergebnis eindeutig: »Echt spannend. Es passiert richtig was.« Wenn nun die Eltern angelaufen kommen, sich aufregen und ausgiebig mit Emily diskutieren, findet sie das noch spannender.
Kinder im zweiten und dritten Lebensjahr können sich sprachlich noch nicht so gut ausdrücken. Wenn sie etwas ausprobieren wollen, setzen sie zum Erkunden der Welt ihre Hände und Füße und manchmal auch ihre Zähne ein.
Ein natürlicher Kampfreflex
Hauen, Treten oder Beißen kann, wie es bei Moritz der Fall war, auch ein Ausdruck von Frust und Ärger sein: Wenn ein Kind nicht bekommt, was es will, wenn es nicht darf, was es will, oder wenn es nicht schafft, was es will – jedes Mal wird im Gehirn eine Art »Alarm« ausgelöst, ähnlich wie bei einer Angst- oder Schreckreaktion. Ärger und Wut sind ebenfalls biologisch wichtig für die Selbstbehauptung: Ihr Kind versucht, alle Hindernisse zu überwinden und doch noch zu bekommen, was es will. Durch einen Adrenalinstoß werden die Muskeln angespannt, Ihr Kind ist bereit zum Kampf. Ist es wirklich so erstaunlich, dass es dabei nach Kräften seine Hände, Füße und vielleicht sogar seine Zähne benutzt? Kleine Kinder wollen kämpfen. Das muss Sie nicht aus der Fassung bringen. Kampfbereitschaft war viele tausend Jahre lang für die Menschen eine lebenserhaltende Eigenschaft. Erst seit recht kurzer Zeit wünschen wir Eltern uns eher friedfertige Konfliktlöser als kleine Kämpfer.
Wenn Ihr Kind aber auf jeden Konflikt mit einem Kampf reagiert, hat das Folgen: Sie machen sich Sorgen oder haben ein schlechtes Gewissen, weil Sie das »aggressive Verhalten« auf eigene Erziehungsfehler zurückführen. Sie reagieren ängstlich und angespannt und bringen sich dadurch Ihrem Kind gegenüber in eine schwache Position. Vielleicht versuchen Sie vorbeugend, jede Art Frust von Ihrem Kind fernzuhalten. Einem willensstarken Kind gefällt das. Es ist regelrecht
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