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Gelb-Phase: Mein Pöstchen bei der Post - Geschichten aus dem Intimleben des Gelben Riesen

Gelb-Phase: Mein Pöstchen bei der Post - Geschichten aus dem Intimleben des Gelben Riesen

Titel: Gelb-Phase: Mein Pöstchen bei der Post - Geschichten aus dem Intimleben des Gelben Riesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Wissen
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Gesundheit erfreut und, so wünsche ich es ihm, einen großen Bogen um weiße Sessel macht.
    Das, wohin man mich nun verfrachtet hatte, nannte sich Zustellkasse. Der Name ergab sich aus der Tatsache, dass da die Zusteller, im Volksmund also die Briefträger und Paketboten, morgens Geld ausgezahlt bekamen, das sie dann beispielsweise als Bar-Rente an die Omis und Opis in ihrem Bezirk auszahlten. Mittags, wenn sie von ihrer Tour zurückkamen, brachten sie dann den ganzen Ramsch wieder mit zurück, weil Omi und Opi grad beim Aldi waren, als der Postmann zweimal klingelte …
    Dazu kam dann meist auch noch diverses anderes Geld, das sie beim Kassieren von Nachnahmebeträgen und Nachgebühren eingenommen hatten. Eisernes Gesetz an der Zustellkasse war: Die Kasse stimmt immer – es gibt kein Minus, es gibt kein Plus! Denn Kollegen bescheißen sich nicht!
    Hatte das bisher vielleicht auch immer geklappt -  nun nicht mehr. Denn nun war ICH da!
    Hans Kaisergarten war eh nicht unbedingt die Ruhe in Person. Man könnte es auch so ausdrücken: Der größte Choleriker des Amtes, der Stadt, des Bundeslandes, der Republik, des Planeten, des Universums – er war es, mit dem ich den ersten Kassenabschluss in der Zustellkasse machte, an dessen Ende ein Minderbetrag von zwei Mark vierundsechzig stand …
    Ich war ein Versager.
    So sah ich selbst mich zwar – zumindest bis dato – nicht. Aber wenn man einen Mann Mitte Fünfzig mit hochrotem Kopf und handballgroß geöffnetem Mund vor sich stehen hat, der mit einer gefährlichen Kombi von massivem Blutdruckanstieg, beginnendem Herzinfarkt und fortschreitendem Schlaganfall, begleitet von lebensbedrohlichem Hyperventilieren, zu kämpfen hat, weil er nicht aufhört, seinen Azubi als Versager zu betiteln – ja, dann … glaubt man’s eben.
    Für den Tag war ich fertig. Mit der Welt, dem Leben und überhaupt. Denn dieses Getöse von diesem Herrn Kaisergarten, das war ja nur die Krönung meines ersten Frühdienstes in der Zustellkasse.
    Zusteller waren für mich nämlich aus meiner damaligen Sicht teilweise etwas … nun ja: komisch halt. Klar, es gab viele normale Menschen unter ihnen, die machten einfach ihren Job und gut war. Doch da waren schon auch einige drunter, die eigentlich ins „Jüdsche“ gehörten.
    Stopp! Bevor ich jetzt hier irgendwie des Antisemitismus bezichtigt werde: DER Ausdruck stammt von meiner Oma! Wenn sie jemand für „nicht so ganz klar im Kopp“ hielt, dann meinte sie immer: „Dä wör besser im Jüdsche!“
    Herrschaften! Ich habe keine Ahnung, ob dieser Ausdruck demselben Wortstamm entspringt wie die Glaubensgemeinschaft, die in diesem Land so viel durchstehen musste. Aber Oma war eine politisch ziemlich korrekte Frau – sie legte sogar, wie bereits schon einmal erwähnt, das damals obligatorische Adolf-Bildchen, das auf Geheiß des Österreichers mit dem lustigen kleinen Schnauzbärtchen in jedem deutschen Haushalt zu sein hatte, immer mit dem Gesicht nach unten auf den Schrank. Ich glaube also mit ziemlicher Sicherheit sagen zu können, dass mit „Jüdsche“ etwas komplett anderes gemeint war und ein Zusammenhang mit lebenden oder verstorbenen Personen rein zufällig und nicht beabsichtigt war.
    Dennoch: Manche Zusteller gehörten schon da rein …
    Und diese ganz besonderen Exemplare der Spezies Briefträger hatte ich, neben den Gescheiten, alle an meinem ersten Tag in der Zustellkasse vor mir stehen – kein Wunder, dass dann am Ende die Kasse nicht stimmte.
    Und ein ganz besonderes Modell, das war er: Weigands Pitter. Also Peter in Wirklichkeit. Aber bei allen hieß er immer nur Pitter. Und sah auch aus wie einer. Ehrlich, so wie sich jeder einen Pitter vorstellt, so war jener auch, der mir da am frühen Morgen einen mittelschweren Schock einjagte.
    Ohne Vorwarnung stand er da, im noch fahlen Morgenlicht des Betriebsraums, vor meiner Glasscheibe.
    „Do mi ma da Göl!“
    Ich war zu Stein erstarrt. Was war das denn für ein Ding??? Es könnte zwar irgendwie ein Mensch beteiligt gewesen sein bei seiner Herstellung – das Wort Zeugung wäre in diesem Fall aber absolut falsch gewesen, definitiv. Denn eigentlich erinnerte mich der Anblick eher an eine Hollywood-Kreatur, an einen Mix aus Quasimodo und Godzilla. Und dann diese Stimme … beziehungsweise das, was eine solche sein sollte.
    „Do mi do ma da Göl!“
    Ich war verwirrt. Wo griff denn in diesem Moment bitteschön das Jugendarbeitsschutzgesetz?! Vor sechs Uhr früh arbeiten, das durfte

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