Gelegenheit macht Diebe - Nicht alles, was schwul ist, glänzt (German Edition)
Stille machte sich in dem Hotelzimmer breit, in dem Andrea seit der Abschlussrede der Betreuer auf dem Bett saß und auf Tinas Bettdecke schaute. Im Ohr klang noch der schallende Applaus von vor zehn Minuten nach. Ein irritierender Widerspruch, wenn um einen herum die pure Langeweile herrscht. Lennard war ein echtes Schwein. Selbst wenn er nichts von Tina wollte, war das ja noch lange kein Grund, sie verbal so auszuknocken.
Eine Weile blieb Andrea noch so da sitzen, bis es klopfte. „Ja?“, rief sie zur verschlo ssenen Tür.
„Andrea?“, fragte es von draußen zurück. Andrea e rhob sich vom Bett und machte die Tür auf. Eine Kollegin von ihr war als Abholdienst abkommandiert worden und sammelte nun alle ein, die heute schon mit dem Bus zurückfahren wollten. Schnell stopfte Andrea ihr restliches Zeug in den Koffer und schleppte ihre Sachen zum Bus, der diesmal sogar noch voller zu sein schien. Und das, obwohl es weniger Leute waren.
Die Rückfahrt war bei weitem nicht so lustig wie die Hi nfahrt. Die meisten waren müde und schliefen oder lasen ein Buch. Niemand hatte Lust auf eine Unterhaltung oder sitzgruppenübergreifende Kartenspiele. Andrea lehnte sich ans Fenster und dachte an Tina. „Arme Tina ... so ein Arschloch!“ Sie beschloss, nie wieder ein Wort mit dem Arschloch zu reden. Das hatte sie sich allerdings schon bei vielen Leuten geschworen und es nie lange durchgehalten.
Mit den vielen fiesen Gedanken über ihren vorerst neugewonnenen Feind schlief sie schließlich ein.
Ich hopste währenddessen ungeduldig auf dem Sofa rum und wartete darauf, dass Isabell mich einsammelte, um gemeinsam Andrea vom Ankunftsort abzuholen. Diesmal hielt der Bus aber nicht auf dem Parkplatz, auf dem er bei der Abfahrt gestanden hatte. Wir mussten etwas weiter raus, warum weiß ich auch nicht, aber war ja auch egal.
Es dauerte zwar noch eine ganze Weile, bis Isabell en dlich vorbeikommen würde, aber gehetzt fühlte ich mich schon seit Stunden. Immer wieder ging ich zum Spiegel um zu schauen, ob man noch was von den Schwellungen sah, aber die Salbe hatte gute Arbeit geleistet und es war so ziemlich alles verheilt. Für einen Rollkragenpulli war es zu warm, mal davon abgesehen, dass ich gar keinen hatte, aber es würde auch so gehen ... Oder sah man es doch? Schnell rannte ich wieder zum Spiegel ins Badezimmer und betrachtete meinen Hals. Ich ließ auch nicht außer Acht, dass man es bei anderem Licht vielleicht besser sehen könnte, und probierte es mit den Lämpchen am Spiegel, alle Lichter im Bad an oder ganz ohne Licht und schließlich nahm ich sogar einen kleinen Handspiegel mit nach draußen und überprüfte da, ob man bei Tageslicht was sehen konnte.
... Ich frage mich ja, warum grundsätzlich immer jemand vorbei kommen muss, wenn ich so was mache ... Natürlich war auch da wieder, genau in dem Moment, irgendjemand ganz in der Nähe. Dieser Jemand schaute mich an, als ob ich verrückt wäre ... selber verrückt! Natürlich blieb es auch nicht bei dem einen, andauernd musste ich den Spiegel hinter meinem Rücken verstecken, damit mich nicht noch mehr Leute für übergeschnappt hielten, und kam überhaupt nicht dazu, nach der Wunde zu schauen.
Wo kamen die Leute überhaupt auf einmal al le her? So viele Einwohner hat unsere Stadt doch gar nicht. Bestimmt hing vor der Stadt ein großes Schild, auf dem stand: >Bitte hier entlang zum Freak der Nation!<
Nach gefühlten tausend Stunden hörte ich dann en dlich Isas blauen Geländewagen die Einfahrt reinfahren. Noch ein letzter zweifelnder Blick in den Spiegel beim Eingang ... ouh ... in den hätte ich eher schauen sollen, da konnte man nämlich was sehen, ganz deutlich! Oder bildete ich mir das ein? Ich hoffte es. Wenn man nicht darauf achtete, würde es schon niemand bemerken, also musste ich mich einfach unauffällig verhalten. Und wenn doch jemand nachgefragt hätte, hätte ich einfach gesagt, dass mir das noch gar nicht aufgefallen wär.
Nun klingelte es schon zum zweiten Mal an der Tür, was mir sagen wollte, ich solle endlich rauskommen. Mit eingezogenem Kopf legte ich die Hand auf die Türklinke, schwang meinen Kopf dann aber doch nochmal rüber zum Spiegel und sagte mir endgültig: „Ach, scheiß drauf.“
„Hey, Jan“, begrüßte mich Isa, als die Tür endlich o ffen war, und schleppte ein langes gelbes Ding aus Gummi ins Haus. „Bei mir in meinem Carport hatte ich immer noch Andreas Schlauchboot rumliegen. Ich dachte mir, bei der
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