Geliebt
und den Krieg höchstpersönlich zu Ende bringen. Bis dahin würde die Pest ganze Arbeit geleistet haben, und er, Kyle, hätte das Sagen. Mit diesem Schwert könnte er New York regieren. Alle Räte und alle Clans überall auf der Welt würden ihm unterstehen und sich ihm gegenüber verantworten müssen.
Dieser Plan gefiel ihm. Allerdings musste er das Mädchen finden, wenn er das Schwert haben wollte. Um sie zu finden, würde er Hilfe brauchen – diesen jungen Russen, den Sänger, den sie verwandelt hatte und der immer noch ihren Geruch in seinen Adern hatte.
Ja, der Plan war wirklich gut.
Schnell drehte Kyle sich um und stürmte die Treppen der City Hall hinauf, riss mit einer Hand das Metallschloss heraus und trat die Tür ein. So früh am Morgen war die Eingangshalle noch leer. Er sprintete den Flur entlang, erreichte das andere Ende und zog an einem versteckten Hebel. Als die Wand zurückschwang, eilte er die Steintreppe hinunter und verschwand in der Dunkelheit.
Kyle wusste, dass er sich im schlimmsten Fall mit einer ganzen Armee konfrontiert sehen würde. Deshalb rannte er mit voller Geschwindigkeit. Allerdings würden sie bestimmt nie damit rechnen, dass er sie ganz allein angreifen würde. Außerdem wusste er, dass sie mit dem Krieg beschäftigt waren – wenn er sich beeilte, könnte es ihm gelingen, sich zu holen, was er brauchte. Vor allem bei Tagesanbruch standen seine Karten gut, wenn viele von ihnen sich gerade schlafen legten.
Er erreichte die niedrigeren Ebenen und lief zügig einen breiten Korridor entlang, bis er die große Tür fand, die er gesucht hatte. Wie er schon vermutet hatte, stand nur eine Wache davor, ein junger, schwächerer Vampir, der erst wenige hundert Jahre alt war. Bevor dieser überhaupt reagieren konnte, hatte Kyle ihm bereits einen sauberen Kinnhaken verpasst, der ihm das Bewusstsein raubte.
Jetzt stemmte Kyle die Schulter gegen die Tür und drückte sie ein. Schnell durchquerte er den Raum – da war er ja, der junge Russe. Man hatte ihn mit ausgestreckten Armen an die Wand gekettet und geknebelt. Seine Augen waren vor Furcht und Schrecken weit aufgerissen. Da er schon tagelang hier gefangen gehalten wurde, war er psychisch gebrochen. Kyle verschwendete keine Zeit, sondern zeriss sofort die Ketten an seinen Händen und Füßen. Der Russe zog sich das Klebeband vom Mund und begann sofort zu schreien.
»Wer sind Sie? Warum bin ich hier? Wohin bringen Sie mich? Warum haben …«
Ohne viel Federlesens schlug Kyle ihm mit dem Handrücken so kräftig ins Gesicht, dass er ohnmächtig wurde. Dann warf er sich den schlaffen Körper über die Schulter und trug ihn aus dem Raum. Die Ketten schleiften hinter ihnen her.
Zügig lief er dieselbe Strecke zurück, und ehe er es sich versah, war er wieder in der City Hall und trat ins Tageslicht hinaus. Mit ganzer Kraft rannte er weiter; dabei stellte er erfreut fest, dass niemand ihm gefolgt war.
Allmählich entspannte er sich innerlich ein bisschen. Jetzt hatte er das, was er brauchte. Dieser junge Mann, in dessen Adern immer noch Caitlins Blut floss, konnte ihn direkt zu ihr führen. Und wenn er sie erst gefunden hatte, dann würde er auch das Schwert bekommen.
Zufrieden lächelte er vor sich hin. Jetzt war es nur noch eine Frage der Zeit, bis er das Schwert besitzen würde.
22.
Kapitel
C aitlin und Caleb flogen über Martha’s Vineyard und überquerten dabei viele Meilen dunklen Waldes. Die Spätnachmittagssonne strahlte vom Himmel. Caitlin staunte, wie groß die Insel war. Die Aquinnah-Klippen, die jetzt ihr Ziel waren, befanden sich auf der anderen Seite der Insel. Trotz Calebs hoher Fluggeschwindigkeit würden sie eine ganze Weile brauchen.
Caleb flog nicht gerne, wenn Leute in der Nähe waren, weil er nicht unnötig Aufmerksamkeit auf sich oder überhaupt auf die Vampire lenken wollte. Jetzt hatte er allerdings keine Bedenken, weil zu dieser Jahreszeit kaum Menschen unterwegs waren. Außerdem flogen sie größtenteils über ausgedehnte Wälder.
In Caitlins Kopf drehte sich alles, als sie an die Walfang-Kirche und den neuesten Hinweis zurückdachte, den sie dort gefunden hatten. Damit hatte sie nun wirklich nicht gerechnet. Sie hatte vermutet, es könnte vielleicht noch ein weiterer Schlüssel sein, aber stattdessen hatten sie eine kleine Schriftrolle vorgefunden, ein brüchiges, vergilbtes Stück Pergament, das in der Mitte durchgerissen worden war. Schon der erste Blick hatte ihnen gezeigt, dass eine Hälfte fehlte.
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