Geliebte Betrügerin
instinktive Reflex, Tomlin zum Schweigen zu bringen, bevor ihn noch jemand hörte. Aber was brachte das noch? Seine Vermutung hatte sich bestätigt. So sah also Pamelas Rache aus. Während er in der Bank von England die Nation vorm Ruin gerettet hatte, hatte sie hier auf dem Empfang sein Geheimnis ausgeplaudert. Alle wussten es. Alles lachte über ihn. Der Augenblick, den er all die Jahre gefürchtet hatte, war da. Kerrich hätte vor Zorn am liebsten aufgeheult.
Aber das ging nicht.
Nicht solange Tomlin so weiterschwatzte. »Du warst also dieser Vollmond in der Nebelnacht? Und du hast mir die ganze Zeit nichts davon erzählt, mir, deinem besten Freund.«
Kerrich spielte im null Komma nichts die verschiedensten Strategien durch. Aber bei jeder spielte Leugnen eine Rolle, und er wusste verflucht genau, dass Leugnen keinen Erfolg haben würde. Nicht bei einem Skandal wie diesem. Nicht bei einer Wahrheit wie dieser.
Er war geistesgegenwärtig genug, zumindest ein schiefes Lächeln aufzusetzen. »Ich wollte nicht damit herumprahlen. Ich dachte, du würdest dich sonst vielleicht irgendwie« – er warf einen dezidierten Blick auf Tomlins Hosenschlitz »minderwertig fühlen.«
Tomlin legte den Kopf in den Nacken und lachte herzlich. Er war – wie üblich – gutmütig. Und er war – wie immer kurz davor, über seine eigenen Füße zu fallen, so unbeholfen, wie er neben Kerrich herstolperte. »Du bist berühmt, Devon!«
»Ich würde das eher ›unrühmlich‹ nennen.« Kerrich blickte sich um und vermied peinlich jeden Augenkontakt. »Wissen die es alle schon?«
»Ich habe es erfahren, kaum dass ich zur Tür herein war.«
»Dann wird man mich wohl permanent damit behelligen.«
Tomlin lachte wieder und nickte. Ach wette, du hast irgendwo ein Sammelalbum mit all den Karikaturen, die damals in den Gazetten erschienen sind.«
»Habe ich nicht, und so gerne ich auch mit dir darüber reden möchte, mich treibt eine dringlichere Frage um. Hast du Miss Lockhart und mein Waisenkind gesehen? Wir sollen Beth um sechs Uhr der Königin vorstellen, und es ist gleich so weit.«
»Ich habe Miss Lockhart irgendwo zwischen dem Blauen Salon und dem Seitenflügel herumlaufen sehen.« Tomlin legte den Kopf schief, als verstünde er Kerrich nicht. »Du nimmst das sehr ruhig auf.«
»Was nehme ich ruhig auf?«
»Diese Vollmond-Enthüllungen.«
Kerrich gab sich erstaunt und sagte: »Für mich war es keine Enthüllung. Ich habe es Ja die ganze Zeit gewusst. Aber jetzt entschuldige mich bitte, es macht keinen guten Eindruck, Ihre Majestät warten zu lassen.«
Er ging und gratulierte sich zu seinem überzeugenden Auftritt. Seine geröteten Wangen konnte man der Hitze zuschreiben, und das angedeutete Lächeln trug er bei offiziellen Anlässen ohnehin immer zur Schau. Er durfte sich gratulieren, ganz normal zu wirken. Niemand, der ihn ansah, konnte den Zorn erahnen, der in jedem seiner Schritte schwang. Niemand hätte erraten, dass er sich gerade ausmalte, wie er Miss Lockhart den Hals umdrehte. Wie er seinen Zorn herausbrüllte, während er Hand an sie legte, auf dass sie es nie mehr wagte, ihn zu schikanieren. Dann würde er seinen Heiratsantrag zurücknehmen mit dem vernichtendsten Sarkasmus, zu dem er fähig war, und sie nie mehr zu Gesicht bekommen. Niemals wieder. Es sei denn, er käme in die glückliche Lage, ihr eine Münze zuwerfen zu können, wenn sie an seiner Tür bettelte. Denn vernichtet wie sie war, würde sie nie mehr eine Anstellung finden. ja, das war es. Er sah sie schon in Lumpen gehüllt, das schöne Gesicht verdreckt, das Haar früh ergraut, wie sie ihn anflehte …
Pamela zupfte ihn am Ärmel, bevor er ihre Anwesenheit noch bemerkt hatte. »Mylord, ich hatte so gehofft, dass Sie kommen würden.«
Aus seinen Tagträumen gerissen, schaute er sie an. Das da war keine verdreckte, zerlumpte, verhärmte Bettlerin. Das schöne Kleid, das er für sie ausgesucht hatte, umhüllte sie wie eine silbrige Wolke. Die blauen Augen nahmen die Grautöne auf und glitzerten wie driftende Wolken an einem sonnigen Tag. Ihr Haar, gelockt und locker hoch gesteckt, gab ihren Gesichtszügen einen Liebreiz, der nicht echt sein konnte. Sie sah wie sein Fleisch gewordener, schönster Traum aus – doch sie hatte seine schlimmsten Albträume wahr gemacht.
Sie zog ihn in eine leere Ecke und sagte ruhig: »Etwas Schreckliches ist vorgefallen.«
Was Kerrich das letzte bisschen Selbstdisziplin verlieren ließ. Er war fuchsteufelswild, durch
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