Geliebte der Finsternis
könnte ich einen Starbucks-Kaffee vertragen«, sagte Cassandra über die Schulter. »Wie ist es mir dir?«
»Für eine Tasse Java bin ich immer zu haben. Wenn ich auf gemahlene Bohnen verzichten müsste, würde ich sterben.«
Während sie zum Café gingen, dachte Cassandra immer noch an die Dark Hunter.
Oft genug hatte Mom versucht, ihr mit grausigen Geschichten über diese Spezies Angst einzujagen. Aber Cassandra hatte das alles als Mythos abgetan und bei ihrem Studium des griechischen Altertums niemals genauere Informationen über die Dark Hunter gefunden. Seit der Kindheit hatte sie sich mit der Familiengeschichte ihrer Mutter und mit alten Legenden befasst.
Im Lauf ihrer Lektüre war sie niemals auf Berichte über die Dark Hunter gestoßen. Das bestätigte sie in ihrer Vermutung, Mom würde nur von Fabelwesen erzählen.
Hatte sie irgendetwas übersehen?
»Hi, Cassandra!«
Aus ihren Gedanken gerissen, blickte sie auf und erkannte einen Kommilitonen, der in der Nähe des Starbucks stand. Er war ein paar Zentimeter kleiner als sie und sah sehr sympathisch aus, im Pfadfinder-Stil, mit kurzen schwarzen Locken und freundlichen blauen Augen.
Irgendetwas an ihm erinnerte sie an Opie Taylor aus der »Andy Griffith Show«. Halb und halb erwartete sie, er würde sie mit »Madam« anreden.
Als er näher kam, wisperte Kat: »Chris Eriksson.«
»Danke«, erwiderte Cassandra ebenso leise. Zum Glück besaß Kat ein viel besseres Namensgedächtnis als sie selber. An Gesichter konnte sie sich stets erinnern, an Namen nur ganz selten.
Nun blieb er vor den beiden Mädchen stehen.
»Hi, Chris.« Cassandra lächelte ihn an. Wirklich, er war sehr nett. Ständig versuchte er Leuten zu helfen, die es nötig hatten. »Was führt dich hierher?«
»Eh - uh …« Unbehaglich schaute er weg. »Also, ich - ich musste was für jemanden abholen.«
Kat wechselte einen vielsagenden Blick mit ihr. »Klingt ziemlich dubios. Hoffentlich nichts Illegales.«
»O nein.« Seine Wangen färbten sich feuerrot. »Nichts Illegales. Nur was Privates.«
Aus irgendwelchen Gründen hätte Cassandra illegale Aktivitäten interessanter gefunden. Während sie ihn abwartend musterte, räusperte er sich verlegen.
Chris studierte Altenglisch im ersten Semester. Bisher hatten sie nur selten miteinander gesprochen - eigentlich
nur, um Notizen zu vergleichen, oder wenn es ihr schwergefallen war, einen alten Text zu übersetzen. Er gehörte zu den Lieblingen des Professors.
Bei allen Prüfungen erzielte er ausgezeichnete Zensuren, und viele Kommilitonen verließen sich auf seinen Beistand, um gerade so noch die Kurve zu kratzen.
Schließlich fragte er: »Gehst du heute Nachmittag ins Seminar?«
Cassandra nickte.
»Faszinierend, dieser Stoff, den wir gerade durchnehmen, nicht wahr?« Offenbar meinte er es ernst - zumindest glaubte sie das seinem Gesicht anzumerken.
»Etwa so wundervoll wie eine Zahnbetäubung mit Novocain«, witzelte sie.
Aber er verstand den Scherz nicht.
Seine Miene verdüsterte sich. »Tut mir leid. Jetzt benehme ich mich schon wieder wie ein Idiot …« Nervös zupfte er an seinem Ohr und starrte auf seine Füße hinab. »Eh - jetzt gehe ich lieber, ich muss noch was erledigen.«
Als er davoneilte, rief sie ihm nach: »He, Chris?«
Er blieb stehen und drehte sich um.
»Ein Peter-Pan-Syndrom?«
»Wie, bitte?«
»Ist es für dich problematisch, erwachsen zu werden, weil deine Eltern dich zu sehr beschützen?«
»Wieso willst du das wissen?«, fragte er und kratzte sich am Nacken.
»Glaub mir, du weist die klassischen Symptome auf. Die hatte ich früher auch. Erst nach einer jahrelangen intensiven Therapie lernte ich, sie zu verbergen, inzwischen kann ich fast normal funktionieren.«
Darüber musste er lachen. »Gibst du mir die Adresse von diesem Therapeuten?«
»Sehr gern«, erwiderte Cassandra lächelnd und zeigte auf die Tür des Starbucks. »Willst du eine Tasse Kaffee mit uns trinken?«
»O ja, danke«, stimmte er zu, und seine Augen strahlten, als hätte sie ihm soeben den Schlüssel zum Fort Knox überreicht.
Von Chris gefolgt betraten die beiden Freundinnen das Café. In seinem Feuereifer glich er einem jungen Hund, der sich freute, weil sein Herrchen endlich heimgekommen war.
Nachdem sie an der Theke ihren Kaffee geholt hatten, setzten sie sich in den Hintergrund des Lokals, möglichst weit von den Fenstern und dem Sonnenschein entfernt, der Cassandras Haut geschadet hätte.
»Warum gehst du ins
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