Geliebte der Finsternis
nicht aus den Augen ließ.
Weil alle Mitglieder des Knappenrats wussten, dass Chris der letzte Blutsverwandte von Wulfs Bruder war, wurde er so aufmerksam bewacht wie ein Staatsgeheimnis.
Manchmal fühlte er sich wie ein Alien, und er träumte wehmütig von irgendeinem fernen Ort, wo er kein totaler Freak wäre.
Doch er musste sich in sein Schicksal fügen, es gab kein Entrinnen.
Was er war, konnte er nicht ändern.
Der letzte Erbe.
Ohne Chris und seine Kinder würde Wulf die Ewigkeit allein verbringen. Denn nur ein Mensch, in dessen Adern sein Blut floss, konnte sich an ihn erinnern.
Leider war es schwierig, eine Mutter für diese Kinder zu finden. Bisher hatte sich kein einziges Mädchen freiwillig gemeldet.
Britneys Verachtung bedrückte ihn immer noch.
» Was, ich soll mit dir ausgehen? Also wirklich! Ruf mich an, wenn du erwachsen bist und gelernt hast, dich richtig anzuziehen.«
Zähneknirschend versuchte er ihren grausamen Spott zu vergessen. An seinem Geburtstag hatte er seine beste Kakihose und einen marineblauen Pullover getragen. Aber wie er nur zu gut wusste, war er nicht cool - und wortgewandt schon gar nicht.
Er besaß den gesellschaftlichen Schliff eines Idioten, das Durchschnittsgesicht des Jungen von nebenan und das Selbstvertrauen einer Schnecke.
O Gott, wie erbärmlich.
Vor dem Unterrichtszimmer blieb er stehen und wandte sich zu den beiden Theti-Knappen, die ihm in »diskretem« Abstand folgten. Etwa Mitte dreißig, waren sie fast eins neunzig groß, mit dunklen Haaren und strengen Mienen.
Im Auftrag des Knappenrats erfüllten sie nur eine einzige Pflicht - sie mussten verhindern, dass Chris irgendetwas zustieß, bevor er genug Kinder gezeugt hatte, um Wulf glücklich zu machen.
Natürlich drohten ihm am helllichten Tag keine nennenswerten Gefahren. Gewiss, hin und wieder griff einer der Doulos - so wurden die menschlichen Diener der Apolliten genannt - einen Knappen an. Doch das geschah heutzutage äußerst selten und wurde in überregionalen Medien kaum erwähnt.
Am Abend durfte Chris das Anwesen nur verlassen, wenn er sich mit einem Mädchen traf. Und das würde vorerst nicht passieren, nachdem ihm seine bisher einzige Freundin den Laufpass gegeben hatte.
Gewiss, er sollte wieder ein Date arrangieren. Bei diesem Gedanken unterdrückte er nur mühsam ein Stöhnen. Welches Mädchen wäre dazu bereit, wenn es sich vorher einer ärztlichen Untersuchung und einem Bluttest unterziehen musste?
Während er am Seminar teilnahm, würden die Thetis vor der Tür Wache halten und seine Isolation zum unübersehbaren Freak-Status steigern.
Wer konnte ihm verübeln, dass er das Leben eines Einzelgängers führte? Großer Gott, er war in einem Haus aufgewachsen, wo er niemals herumlaufen durfte. Sonst hätte er sich womöglich verletzt. Wenn er sich erkältete, beorderte der Knappenrat Spezialisten aus der Mayo Clinic nach St. Paul, um ihn behandeln zu lassen. Die wenigen Kinder, die sein Vater aussuchte, damit sie mit Chris spielten, entstammten anderen Knappenfamilien und wurden eindringlich ermahnt, ihn niemals anzurühren oder zu ärgern oder irgendwas zu tun, das Wulf erzürnen würde.
Also besuchten ihn seine »Freunde« und sahen mit ihm fern. Nur ganz selten machten sie den Mund auf, vor lauter Angst, sie würden in Schwierigkeiten geraten. Keiner wagte Chris Geschenke zu bringen oder ihm auch nur einen Kartoffelchip anzubieten. Bevor er mit irgendwelchen Kindern spielen durfte, wurden sie gründlich untersucht und desinfiziert. Immerhin könnte er infolge eines einzigen winzigen Keims zeugungsunfähig werden oder - was der Himmel verhüten möge - sterben.
Auf Chris’ Schultern lastete die Bürde der Zivilisation oder, genauer ausgedrückt, die Bürde von Wulfs Dynastie, deren Fortbestand gesichert werden musste.
Der einzige wahre Freund, den er jemals gefunden hatte, war Nick Gautier, ein Knappenanwärter. Erst vor ein paar Jahren hatten sie sich kennengelernt. Noch zu unerfahren in dieser speziellen Welt, um die Hintergründe von Chris’ goldenem Käfig zu begreifen, hatte Nick ihn wie ein menschliches Wesen behandelt. Später stimmte der Cajun ihm zu - dieses Leben war trotz aller Vergünstigungen beschissen.
Wulf hatte seinem Knappen zunächst nicht erlaubt, am College zu studieren. Stattdessen wollte er Professoren engagieren, die ins Haus kamen. Aber dann besann er sich anders. Denn Chris hatte ihn auf die elitären Eierstöcke hingewiesen, die in den Hörsälen zu finden
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