Geliebte der Nacht
Anläufen fand er schließlich die kleine Taste, die den Krachmacher stumm stellte.
Wütend über die Mühe, die ihm diese kurze Abfolge von Bewegungen machte, hielt sich Lucan das leuchtende Display vors Gesicht und zwang sich, die Nummer zu entziffern, die ihm vor den Augen verschwamm.
Es war eine Nummer aus Boston … Gabrielles Handy.
Na, herrlich.
Genau das, was ihm jetzt noch gefehlt hatte.
Als er mit Conlans Leichnam die Hunderte von Stufen auf dem Weg nach draußen erklomm, hatte er einen Entschluss gefasst. Was auch immer zwischen Gabrielle Maxwell und ihm war, es musste aufhören. Er war nicht ganz sicher, was es überhaupt war – mal davon abgesehen, dass er jede verfügbare Gelegenheit nutzte, um sie flachzulegen.
Ja, darin war er ganz toll, hervorragende Taktik.
Es war höchste Zeit, dass er seine Prioritäten in den Griff bekam. Er war da erschreckend lax geworden, sobald Gabrielle ins Spiel kam.
Im Geiste hatte er genau geplant, wie er mit der Situation umgehen würde. Er gedachte Gideon zu ihr zu schicken, der ihr auf sachliche, verständliche Art alles über den Stamm erzählen konnte. Er würde sie auch über ihr Schicksal im Vampirvolk aufklären – ihre wahre Zugehörigkeit. Gideon hatte Erfahrung im Umgang mit Frauen, und er war ein vollendeter Diplomat. Er würde einfühlsam sein, und er konnte ohne jeden Zweifel besser mit Worten umgehen als Lucan. Gideon konnte ihr alles so erklären, dass es Sinn ergab, sogar die äußerst reale Notwendigkeit für sie, in einem der Dunklen Häfen Schutz – und letztlich auch einen passenden Gefährten – zu suchen.
Was Lucan anging, so würde er das Nötige tun, damit sein Köper wieder heilte. Noch ein paar Stunden Erholung, dann heute Nacht eine dringend notwendige Nahrungsaufnahme, sobald er imstande war, lange genug auf den Beinen zu bleiben, um auf die Jagd zu gehen. Dann würde er gestärkt und als besserer Krieger zurückkehren.
Er würde vergessen, dass er Gabrielle Maxwell je begegnet war. Zu seinem eigenen Besten, wenn nicht gar zum Besten des gesamten Stammes.
Allerdings …
Allerdings hatte er ihr letzte Nacht gesagt, dass sie ihn über das Handy erreichen konnte, wann immer sie ihn brauchte. Er hatte versprochen, ihren Anruf unter allen Umständen anzunehmen.
Und falls sie ihn jetzt zu erreichen versuchte, weil die Rogues oder ihre lebenden Toten, die Lakaien, wieder gekommen waren, um herumzuschnüffeln, dann sollte er das verdammt noch mal wissen.
Er streckte sich auf dem Boden aus und drückte die Verbindungstaste.
„Hallo.“
Gott, er klang wirklich beschissen. Als bestünden seine Lungen aus Holzkohle und sein Atem aus Asche. Er hustete, und sein Kopf brach vor Schmerz fast entzwei.
Am anderen Ende blieb es zunächst still. Dann erklang Gabrielles Stimme, zögernd, besorgt. „Lucan? Bist du das?“
„Ja.“ Er bemühte sich, seinem gequälten Hals Laute zu entringen. „Was ist los? Geht es dir gut?“
„Ja, alles okay. Ich hoffe, es ist in Ordnung, dass ich anrufe – ich habe nur … Also, nach der Art, wie du letzte Nacht gegangen bist, habe ich mir Sorgen gemacht. Ich glaube, ich musste mich nur vergewissern, dass dir nichts zugestoßen ist.“
Er hatte nicht die Kraft zu sprechen; also blieb er liegen, schloss die Augen und lauschte nur dem Klang ihrer Stimme. Die klaren, vollen Töne umschmiegten ihn wie Balsam. Auch ihre Sorge war ein Elixier, etwas, das er nie zuvor genossen hatte – zu hören, dass jemand um ihn besorgt war. Die unvertraute Anteilnahme gab ihm ein warmes Gefühl.
Es tat ihm wohl, auch wenn er das unbedingt leugnen musste.
„Wie …“, krächzte er und versuchte es dann noch einmal. „Wie spät ist es?“
„Kurz vor zwölf. Eigentlich wollte ich dich schon heute Morgen anrufen, als ich aufgestanden bin, aber da du normalerweise die Abendschicht hast, habe ich so lange gewartet, wie ich konnte. Du klingst müde. Habe ich dich geweckt?“
„Nein.“
Er versuchte sich auf die Seite zu drehen. Nach wenigen Minuten mit ihr am Telefon fühlte er sich bereits kräftiger. Außerdem musste er den Arsch hochkriegen und wieder raus auf die Straße, und zwar gleich heute Nacht. Der Mord an Conlan musste gerächt werden, und er wollte derjenige sein, der Gerechtigkeit übte.
Je brutaler, desto besser.
„Und“, sagte sie gerade, „ist nun alles in Ordnung mit dir?“
„Ja. Mir geht es gut.“
„Schön. Ich bin wirklich erleichtert, das zu hören.“ Ihre Stimme nahm einen leichteren,
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