Geliebte der Nacht
Hunderte von Stufen, die er mit dem Gewicht seines gefallenen Bruders auf den Armen erklomm, bedeuteten einen Schmerz, den er ohne Klagen hinnahm.
Denn dies war der leichteste Teil seiner Aufgabe.
Sollte er zusammenbrechen, dann in einigen Minuten auf der anderen Seite der Außentür, die jetzt ein Dutzend Schritte vor ihm aufragte.
Lucan stemmte die Stahltür mit der Schulter auf und sog kühle Luft in seine Lungen, als er zu dem Platz ging, wo er Conlan zur Ruhe betten würde. Auf einem Flecken frischen grünen Grases ließ er sich vorsichtig auf die Knie nieder und senkte langsam die Arme, um Conlans Körper auf dem festen Erdboden abzulegen. Er flüsterte die Gebete des Begräbnisrituals, Worte, die er im Laufe vergangener Jahrhunderte nur wenige Male gehört hatte, aber dennoch auswendig kannte.
Während er sprach, begann der Himmel zu glühen. Die Dämmerung nahte.
In demütigem Schweigen ertrug er stumm das Licht, konzentrierte all seine Gedanken auf Conlan und die Ehre, die sein langes Leben ausmachte. Die Sonne stieg über den Horizont, noch ehe er die Hälfte des Rituals hinter sich hatte. Lucan senkte den Kopf und verbiss den Schmerz, wie Conlan es gewiss für jeden Angehörigen des Stammes getan hätte, der an seiner Seite gekämpft hatte. Sengende Hitze überrollte ihn, als nun der Tag anbrach, wurde stärker und stärker.
Lucans Ohren füllten sich mit den wieder und wieder gesprochenen Worten der alten Gebete und bald auch mit dem leisen Zischen und Knistern seines brennenden Fleisches.
13
„Die Polizei und die Verantwortlichen der Bahn sind immer noch nicht sicher, was die Explosion verursacht hat, die sich vergangene Nacht ereignete. Jedenfalls habe ich vor wenigen Minuten mit einem Vertreter des öffentlichen Nahverkehrs gesprochen, der mir versicherte, dass der Zwischenfall auf eine der alten, ungenutzten Gleisstrecken beschränkt war und dass keine Verletzten gemeldet wurden. Bleiben Sie dran – Kanal Fünf. Wir berichten weiter über diese spannende Story –“
Das staubige alte Fernsehgerät auf dem Wandregal ging abrupt aus. Der heftige Ärger des Vampirs hatte es zum Schweigen gebracht wie eine Fernbedienung. Hinter ihm, auf der anderen Seite des trostlosen, verfallenen Raums, der einst die Untergeschoss-Cafeteria der Nervenheilanstalt gewesen war, warteten nervös und grunzend zwei seiner Rogues-Lieutenants auf weitere Befehle.
Die beiden verfügten über wenig Geduld. Durch ihren Suchttrieb war die Aufmerksamkeitsspanne von Rogues winzig, da sie ihren Intellekt opferten, um die primitiven Launen ihrer Blutgier zu befriedigen. Sie waren rücksichtslose Kinder, kaum anders als Hunde, und brauchten regelmäßige Prügel und magere Belohnungen, um gehorsam zu bleiben. Und damit sie nicht vergaßen, wem sie gerade dienten.
„Keine Verletzten gemeldet“, kicherte einer der Rogues.
„Vielleicht keine Menschen“, fügte der andere hinzu. „Aber der Stamm hat verdammt schwer einstecken müssen. Ich hab gehört, von dem Toten war nicht mehr viel übrig, was die Sonne sich holen konnte.“
Das entlockte dem ersten Idioten erneutes Kichern. Laut blies er seinen fauligen, nach altem Blut stinkenden Atem in den Raum, als er die Detonation nachahmte, die der mit dieser Aufgabe betraute Bombenleger in dem Tunnel ausgelöst hatte.
„Bedauerlich, dass der andere Krieger, der bei ihm war, überlebt hat und verschwinden konnte.“ Die Rogues wurden still, und ihr Anführer drehte sich endlich zu ihnen um. „Nächstes Mal teile ich euch zwei für diese Aufgabe ein, da ihr Misserfolge ja so amüsant findet.“
Sie zogen Grimassen und knurrten wie die Raubtiere, die sie waren. Der Blick aus geschlitzten Pupillen im goldgelben See ihrer starren Iris richtete sich zu Boden, als der Anführer gemessenen Schrittes langsam auf sie zukam. Nur der Umstand, dass der Stamm in der Tat einen schweren Verlust hatte hinnehmen müssen, milderte seinen Ärger.
Allerdings war der Krieger, der die Bombe abbekommen hatte, nicht das eigentliche Ziel der Mission gewesen, auch wenn jedes tote Mitglied des Ordens ein Gewinn für seine Sache war. Es würde noch Zeit sein, den zu eliminieren, den sie Lucan nannten. Vielleicht würde er das persönlich übernehmen, von Angesicht zu Angesicht, von Vampir zu Vampir, ohne die Arglist von Waffen.
Ja, dachte er, es würde ihm enormen Genuss bereiten, diesen Kerl zu töten.
Ausgleichende Gerechtigkeit.
„Zeigt her, was ihr mir mitgebracht habt“, befahl er den
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