Geliebte der Nacht
gerade erst genesender Körper jetzt schon die Wucht einer weiteren Verletzung aushalten konnte.
Ganz zu schweigen davon, dass es ihn wahnsinnig wütend gemacht hätte, und er hatte schon extrem schlechte Laune.
Beim Klingeln des Handys wirbelte der Dealer erschrocken von links nach rechts und dann wieder nach links, um die Geräuschquelle hinter sich zu orten, und da griff Lucan ihn an. Im Nu hatte er den Kerl zu Boden geworfen. Ehe die Angst genügend Atem in die Lungen des Mannes trieb, dass er schreien konnte, versenkte Lucan seine Fangzähne in die prall hervortretende Ader seitlich am Hals.
Blut schoss über seine Zunge, ekelhaftes Blut, verunreinigt und verdorben von Drogen und Krankheit. Dennoch schluckte er es herunter, einen Schluck nach dem anderen, wobei er seine sich windende, keuchende Beute ohne Gnade gepackt hielt. Er würde den Kerl töten, und es machte ihm nicht das Geringste aus. Von Bedeutung war jetzt nur, dass er seinen Hunger stillte. Den Schmerz seines heilenden Körpers linderte.
Lucan langte zu und trank sich satt.
Mehr als satt.
Er hatte den Dealer fast völlig leer getrunken, aber sein Heißhunger ließ einfach nicht nach. Es wäre jedoch blanker Leichtsinn, noch mehr Nahrung aufzunehmen, für heute Nacht war es genug. Er musste diese Stärkung erst mal wirken lassen. Wenn er seiner Gier nachgab, riskierte er, die Kontrolle zu verlieren und in Richtung Blutgier getrieben zu werden.
Lucan starrte erbost auf das Gerät, das in seiner Hand summte, und wusste, dass er den Anruf einfach nicht entgegennehmen sollte.
Aber das verdammte Handy summte hartnäckig immer weiter, und in der Sekunde, bevor es verstummen würde, nahm er ab. Zuerst schwieg er und lauschte, wie der weiche Klang von Gabrielles Atem durch den Hörer drang. Dann kam ihre Stimme, mit leichtem Zittern, aber doch kräftig, obwohl sie offenkundig ziemlich aufgeregt war.
„Du hast mich angelogen“, sagte sie als Begrüßung. „Wie lange schon, Lucan? Und wobei – bei allem?“
Lucan warf einen abschätzigen Blick auf den leblosen Körper seiner Beute. Er ging in die Hocke und durchsuchte den Dreckskerl rasch. Er fand ein mit einem Gummiband zusammengehaltenes Bündel Hundertdollarnoten, das er den Straßengeiern hinterließ, die sich darum schlagen würden. Die Drogen – ein beachtlicher Vorrat an Crack und Heroin – würden ein Bad in einem der Abwässerkanäle der Stadt nehmen.
„Wo bist du?“, bellte er barsch ins Handy und dachte nicht mehr an das Raubtier, das er auf seiner Jagd eliminiert hatte. „Wo ist Gideon?“
„Du versuchst ja nicht mal, es abzustreiten! Warum machst du so was?“
„Hol ihn ans Telefon, Gabrielle.“
Sie ignorierte seine Forderung. „Es gibt noch was anderes, was ich wissen möchte: Wie bist du gestern Nacht in meine Wohnung gekommen? Alle Schlösser waren verriegelt, sogar die Kette war vorgelegt. Was hast du angestellt? Hast du meine Schlüssel gestohlen, als ich nicht aufgepasst habe, und einen neuen Satz machen lassen?“
„Wir können später darüber reden, wenn ich weiß, dass du sicher im Quartier bist –“
„Was für ein Quartier?“ Ihr hartes Lachen verblüffte ihn. „Und du kannst mit der Show des wohltätigen Beschützers aufhören. Ich weiß, dass du kein Bulle bist. Alles, was ich will, ist etwas Ehrlichkeit. Ist das zu viel verlangt, Lucan? Gott – ist das überhaupt dein richtiger Name? Kommt irgendwas von dem, was du mir erzählt hast, der Wahrheit auch nur nahe?“
Plötzlich wusste Lucan: Dieser hilflose Zorn, dieser Schmerz war nicht das Ergebnis eines Crashkurses von Gideon über den Stamm und Gabrielles vom Schicksal vorgegebene Rolle. Eine Rolle, bei der Lucan ohne Bedeutung war.
Nein, davon wusste sie noch gar nichts. Dies hier war etwas anderes. Es war keine Angst vor den Tatsachen. Es war Angst vor dem Unbekannten.
„Wo bist du, Gabrielle?“
„Was interessiert es dich?“
„Es … interessiert mich sehr wohl“, gestand er, wenn auch widerstrebend. „Verdammt, ich habe im Augenblick nicht den Kopf für so was. Hör mal, ich weiß, dass du nicht in deiner Wohnung bist – also, wo bist du? Gabrielle, du musst mir sagen, wo du bist.“
„Ich bin bei der Polizeiwache. Ich bin heute Abend hergekommen, um dich zu besuchen, und stell dir vor, niemand hat je von dir gehört.“
„O Gott. Du hast da nach mir gefragt?“
„Natürlich. Woher hätte ich wissen sollen, dass du mich verarschst?“ Wieder erklang das harte, höhnische
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