Geliebte des Blitzes
Körper erschütterte, und in seinem Gehirn breitete sich ein Prickeln aus. »Ja, ich spüre es«, wisperte er.
»Gut. Was hast du auf der Bohrinsel gemacht?«
»Mason rief mich an und sagte, er müsse was Wichtiges mit mir besprechen.« Unheimlich – diese kleine vergessene Einzelheit war direkt von seinem Gehirn in den Mund gedrungen, und er sprach sie aus.
»War Mason allein im Büro?«
»Ja«, keuchte er, denn jetzt lösten die Erinnerungen kein angenehmes Prickeln mehr aus. O Gott, es tat weh,
sein Kopf drohte zu bersten, sein ganzer Körper brannte. Aber er verharrte in der Vergangenheit und beobachtete sich selbst, wie er den Kopf seines Halbbruders umfasste. Mason lag auf dem Schreibtisch. »Nun sehe ich meine Hände. Auf seinem Gesicht.«
»Schau genauer hin, Wyatt. Da stimmt irgendwas nicht.«
Wyatt zwang sich, Mason in die Augen zu starren – etwas zu empfinden. In seiner Fantasie spulte sich das Video nach hinten ab, qualvoll langsam. Mason. Tot auf dem Tisch. Und Wyatt, der sein Gesicht festhielt. Dann wurde er zurückgezerrt. Behutsam ließ er Masons Kopf zurück auf die Tischplatte sinken und richtete sich auf.
»Das habe ich nicht getan«, hörte er sich flüstern. »Ich war es nicht.«
»Geh noch weiter zurück, Wyatt, raus aus dem Büro.«
In seinen Gedanken gehorchte er – blieb in der Vision verhaftet wie nie zuvor. Als er das Büro verlassen hatte, konnte er mit ansehen, was wirklich geschehen war – Mason lachte über etwas, das sein Vater sagte.
»Dafür habe ich Beweise, Alter«, sagte Mason. »Auch Wyatt wird es erfahren. Was du getan hast, soll er wissen. Das ist sein gutes Recht.«
Und plötzlich brach der Vater Masons Hals. Wie gelähmt stand Wyatt da, völlig verwirrt. Dann wurde der Schock noch verstärkt, als sein Dad ihm alles ins Gesicht sagte – Mason habe den Vater anzeigen wollen, wegen des Mordes an Wyatts Mutter.
»Er hat sie getötet.«
»Wer?«
»Mein Vater – er hat meine Mutter getötet. Sie wollte sich scheiden lassen – weil sie Beweise dafür hatte, wie er das Geld seiner Investoren veruntreute. Wenn sie ihn angezeigt hätte, wäre er ruiniert gewesen. Also hat er sie getötet, und Mason hat davon gewusst.«
»Was willst du tun, mein Junge? Wie verrückt du bist, weiß jeder. Außerdem haben alle Leute mitgekriegt, dass du dazu ausgebildet wurdest, mit bloßen Händen zu töten. Wenn ich den Bullen erkläre, du hättest ihn ermordet – glaubst du, irgendwer wird daran zweifeln? Wo du doch in einer Irrenanstalt warst? Und das verschwiegen hast, damit sie dich beim Militär nehmen?« Sein Vater zeigte auf Masons leblosen Körper. »Wenn du jetzt verschwindest, wird die Polizei dich vielleicht nicht schnappen.«
»Ich habe nichts getan, Faith.«
»Natürlich nicht. Jetzt weißt du es.«
»Nicht das, ich meine, ich habe nichts wegen Mason unternommen und meinen Vater nicht angezeigt. Stattdessen – bin ich einfach abgehauen.«
»Aus Angst – und weil du einen Schock erlitten hattest. Deine Familie hat dich durch die Hölle geschickt, und du hattest eben erst vom Tod deiner Mutter erfahren. « Nach einer kurzen Pause fragte Faith: »Wo ist dein Vater jetzt?«
»Vor ein paar Jahren starb er auf der Bohrinsel.«
»Dann verbüßt er seine Strafe im Jenseits. Und du musst aufhören, dich selber zu bestrafen.«
Nur mühsam unterdrückte Wyatt seine Tränen. »Lass mich allein. Verdammt, lass mich allein. Bitte.«
WEIL FAITH SPÜRTE, DASS WYATT ein bisschen Zeit für sich selbst brauchte, verließ sie das Zimmer – wenngleich nur ungern. Sie wollte nicht darüber nachdenken, was er ihr gerade erzählt hatte. Woran er sich erinnerte, das war nur ein kleiner Teil dessen, was er soeben verraten hatte.
Der größere war ein unbeabsichtigtes Geständnis, und das war es, was sie so erstaunte – er vertraute ihr .
Vielleicht wollte er selbst es nicht wahrhaben – aber bis zu einem gewissen Grad vertraute er ihr. Er hatte sich geöffnet, seine Vergangenheit mit ihr geteilt, ihr sogar gestattet, in sein Gehirn einzudringen, in sein Erinnerungszentrum. Dort hätte sie, würde sie die Absicht haben, ihn so durcheinanderbringen können, dass ihm sogar sein eigener Name entfallen wäre.
Sein Vertrauen erschütterte Faith. Und sie geriet auf unsicheres Terrain, obwohl sie daran gewöhnt war, jede Situation selbstsicher zu meistern.
Zu spät hatte er erkannt, wohin ihn seine Offenheit führte. Und zweifellos bereute er jetzt, wie viel er ihr verraten hatte.
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