Geliebte des Feuers
lebendigem Leib gebrannt und überlebt. Alles andere war im Vergleich dazu nichts.
»Nichts«, wiederholte Lysander leise. »So etwas gibt es nicht. Aber ich verstehe jetzt. Die Stücke sind zusammengekommen, und ich werde nicht ... Du wirst mich nicht daran hindern, das Buch ...« Er unterbrach sich und schwankte. »Das Buch ... das Buch ist...« Erneut versagte seine Stimme. Sein Schwanz peitschte pfeifend durch die Luft, und Lysander krümmte den Rücken, bis er sich förmlich zusammenrollte. Schmerz, dachte Miri. Schwäche.
Oder vielleicht ein Kampf. Ein Ringen um Kontrolle.
Das klatschende Geräusch wurde lauter. Es klang wie eine Trommel am Himmel. Dean packte Miris Schultern und zog sie von Lysander weg. Sie blickte im Stolpern hoch und sah, wie etwas Großes die Sterne verdeckte und rasend schnell zu ihnen heruntersank ...
Dean schrie, drehte Miri um und schützte sie mit seinem Körper, als die Welt hinter ihnen unter einem ungeheuren Aufprall erzitterte. Schreie gellten durch die Nacht, ein Knurren und Brüllen, das Schnappen von Zähnen. Miri drehte sich in Deans Armen herum und beobachtete entsetzt, wie sich zwei schlangenförmige Körper vom Ufer ins Wasser wälzten.
Bai Shen, dachte sie und erinnerte sich an die Jade. Sie zog Dean hinter sich her zum Ufer, ging auf Hände und Knie herunter und suchte den Boden ab. Sie hoffte, dass Lysander die Jade hatte fallen lassen und sie noch hier war. Sie konnte beim Suchen kaum atmen. Ihr Herz hämmerte, und jeder schmerzhafte Schlag schien der letzte zu sein. Als könnte ihr Herz jeden Augenblick mit einem Knall explodieren - und sie wäre verschwunden.
Die Drachen kämpften nur wenige Meter von ihnen entfernt; Wasser spritzte auf Miris Körper, und sie roch Blut.
»Ich hab es!«, schrie Dean. Vor Erleichterung wurden Miri die Knie weich. Dean packte ihre Hand, und sie ließ sich aus der Nähe des Kampfes ziehen. Ein hoher Schrei zerriss die Luft. Sie drehte sich um und sah, wie sich beide Drachen im Wasser aufbäumten. Aber nur einer, der kleinere, kämpfte noch, doch seine Gegenwehr war schwach. Die Faust, die bis zum Gelenk in seinem Magen steckte, war vermutlich der Grund dafür, eine Faust, die sich drehte und etwas herausriss, etwas Weiches, Langes.
»Mein Gott«, flüsterte Miri, als Bai Shen gellend aufschrie.
»Lauf!«, fuhr Dean sie an. »Lauf, Miri!«
Sie wollte schon loslaufen, hielt dann jedoch inne und rannte zu dem kleinen Federbündel zurück, das immer noch auf den Felsen lag. Koni. Sie drückte den Vogel an die Brust, während ihr das Blut von der Handfläche lief, die sie sich an dem scharfen Rand der Jade aufgeschnitten hatte, und rannte los. Dean war bereits zwei Schritte vor ihr, rief etwas und fuchtelte mit den Armen. Sie verstand zuerst nicht, was er meinte, bis sie die Bewegung auf der Straße erkannte. Die Dorfbewohner waren gekommen. Sie beobachteten die Ereignisse schweigend und staunend.
»Lauft!«, schrie Miri ihnen zu. »Lauft, bitte!«
Aber sie hörten nicht, und als sich Miri ihnen näherte, sah sie, dass einige von ihnen Masken trugen. Glocken bimmelten. Ein paar Frauen begannen zu tanzen. Das war eine alte Tradition. Die Menschen hießen die Drachen willkommen und verjagten die Teufel.
Ein Schrei gellte auf, und Miri hörte ein gewaltiges Platschen.
»Sieh nicht hin«, befahl Dean. »Gib mir die Jade.«
Miri reichte ihm ihre Hälfte des Artefakts und legte Koni auf ein Grasbüschel in dem Fels. Dean holte tief Luft und hielt die beiden Steine vor sich. Er sah sie an. Sie nickte. Hinter ihnen peitschten Schwingen durch die Luft. Sie sah ein pulsierendes Glühen unter Deans nassem T-Shirt ...
... und er drückte die beiden Hälften der Jade aneinander.
Einen Moment lang schien die Welt stillzustehen, und alles um Miri herum — außer Dean und den Jadesteinen - war verschwunden. Doch es war nur ein ganz flüchtiger Augenblick, dann kehrte die Welt mit einem Rauschen und Brüllen zurück, das ebenso heftig war wie der Atemzug, den Miri tat. Und so allumfassend wie das Gefühl von Tragik, als sie erkannte, dass sich nichts geändert hatte.
»Ist was geschehen?«, fragte Dean. »Miri?«
»Nein.« Sie zitterte.
»O Gott«, sagte Dean und drückte die Stücke erneut aneinander. »O Gott!«
»Das passt irgendwie nicht«, protestierte Miri. »Wir übersehen etwas.«
»Nein«, sagte Dean. »Wir sind am Ende.«
Nein, dachte Miri, als die Haut zwischen ihren Brüsten zu brennen begann. Nein, da ist noch etwas. Es
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