Geliebte des Feuers
dem See hörte sie ein Platschen und ein lautes Husten. Fast hätte sie nach Dean gerufen, beherrschte sich jedoch im letzten Moment noch. Zu viel Lärm war gefährlich. Sie nahm den Jadestein und drückte ihn an ihre Brust. Der Stein war heiß, sie selbst war heiß. Nicht wie im Fieber, sondern als würde ein Feuer in ihrem Rippenkästen brennen, pulsieren. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Sie versuchte, sich zu beruhigen, aber sie konnte nur an die Frau denken, die auf den Altar gekettet war, und daran, dass sie dieses Gesicht doch kannte, denn es war dasselbe wie das, das sie gestern Nacht im Spiegel gesehen hatte. Eine Fremde mit Miris Augen.
Weil ich sie bin. Ich selbst war das auf dem Altar. Ich habe die Dunkelheit gefressen. Das war ich, die nur durch das Mal auf meinem Körper getötet hat.
Miri schloss die Augen und sank auf die Knie. Sie umklammerte die Jade so stark, dass ihr die Kanten des Steins in die Handflächen schnitten. Aber der Schmerz fühlte sich gut an; er war etwas, das sie kontrollieren konnte, und es war nichts im Vergleich zu dem, was andere erlitten hatten. Und das alles nur wegen dieses Mysteriums, weil sich etwas vollkommen Unerklärliches in ferner Vergangenheit ereignet hatte.
In ihrer Vergangenheit.
Eisiger Wind peitschte ihren Körper, und zwar so kalt, dass er in die Haut schnitt. Aber die Hitze verschwand nicht. Sie roch Asche und Rauch, dachte an Blut. Sie hörte das schwache Reiben von Schuppen. Lysander. Der Drache. Er war hier.
Miri lief nicht weg. Sie sah keinen Sinn darin, sich zu verstecken. Wenn das hier das Ende sein sollte, dann wollte sie die Welt nicht als Feigling verlassen. Außerdem, selbst wenn sie versuchte, in die Dunkelheit zu flüchten, würde sie vermutlich stürzen und sich das Genick brechen. Und am Ende in derselben üblen Lage enden, wie es die war, in der sie sich gerade befand. Nur wäre sie dann orientierungslos, erschöpft und kurz davor, sich zu erbrechen.
Großartige Optionen. Stirb verängstigt, oder stirb verängstigt und verschwitzt.
Sie wurde jedoch einer Entscheidung enthoben, denn in diesem Moment sah sie eine große weiße Gestalt aus den dunklen Wäldern auftauchen. Obwohl ihr Magen sich verkrampfte und die Hitze in ihrem Unterleib brannte, blieb sie kühl und ruhig, tat, als hätte sie alles im Griff. Sie tat so, obwohl sie für einen Augenblick glaubte, sie hätte sich geirrt. Denn diese geisterhafte Gestalt war kein Drache, sondern ein Mann. Zwei Beine, zwei Arme und ein sehr großer, nackter Rumpf. Der ganze Mann war vollkommen nackt.
Dann begannen die Augen des Mannes zu glühen, golden, wie zwei Scheinwerfer in der Nacht, und das war beinahe ebenso unverwechselbar wie seine Stimme, mit der er ihren Namen nannte, eine tiefe Stimme, die sich geradezu auf sie zu legen schien und ihren ganzen Körper schwer machte, verankert im Auftauchen ihres bevorstehenden Todes.
Ein Kreischen zerriss die Stille: Miri schrie auf, als ein kleiner schwarzer Körper in Lysanders Gesicht flog und auf ihm herumhackte. Miri stolperte vorwärts, wollte helfen, aber da packte eine große weiße Hand den Kopf der Krähe. Lysander schleuderte den Vogel weg, zu Boden. Konis kleiner Krähenleib landete mit einem satten Knacken auf dem felsigen Boden. Miri wollte gerade zu ihm gehen, Lysander aber umklammerte ihren Hals und hob sie vom Boden hoch. Sein Daumen grub sich in ihren Hals; sie hustete, trat mit den Beinen. Der Jadestein glitt ihr aus den Fingern.
Lysander fing ihn mit seiner freien Hand auf und ließ Miri achtlos fallen. Sie landete auf den Knien, hustend und würgend. Koni lag regungslos neben ihr. Sie wollte ihn berühren, ihn an sich ziehen, aber Lysander bückte sich plötzlich. Sein Körper ragte wie ein weißer Fels aus Fleisch vor ihr auf, und sie starrte aus wässrigen Augen in sein weißes Gesicht, das sich immer weiter dehnte und alles Menschliche verlor, als er sich in etwas Schuppiges verwandelte, etwas Gefiedertes. In seiner Hand wirkte der Jadestein fast lächerlich winzig, und Miri griff mit ihrem Geist danach, spürte, wie sich ihre Gedanken mit Licht und Worten füllten.
»Du weißt, wo die andere Hälfte versteckt ist«, sagte Lysander. Miri konnte nicht verhindern, dass sie Dean dachte.
»Dean«, wisperte der Drache. »Ah, das Wasser.«
Er erhob sich, und Miri krabbelte hastig weg, schnitt sich die Handflächen an scharfen Felsbrocken auf. Sie glaubte einen fernen Schrei zu hören, den der Wind zu ihr trug, einen
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