Geliebte des Feuers

sind Worte.«
    »Freut mich, dass du das auch so siehst. Ich war mir erst nicht sicher, aber nachdem ich dieses Ding drei Stunden lang angestarrt habe, bin ich mehr als nur ein bisschen davon überzeugt.«
    Miri fuhr mit den Fingern über die Einkerbungen und bemühte sich, ruhig zu bleiben. Doch als sie über die weit reichenden Bedeutungen ihrer Feststellung nachdachte, durchströmte sie ein kalter Schauer, und ein Gewicht schien sich auf ihre Brust zu legen.
    »Owen«, sagte sie ruhig. »Diese Männer und die Frau sind fast viertausend Jahre alt. Die frühesten Zeugnisse chinesischer Piktogramme tauchen erst um das Jahr eintausendzweihundert vor Christus auf. Und auch die befanden sich nur auf Orakelknochen.«
    »Sprich weiter«, forderte er sie auf. Miri kniff die Augen zusammen.
    »Die geschriebene chinesische Sprache beruht auf einem logografischen System. Das sind Symbole, von denen jedes eine Idee repräsentiert. Die auf den Orakelknochen entdeckten Inschriften zeigen, dass es bereits vor mehr als dreitausend Jahren ein hochentwickeltes Schriftsystem in China gab, das dem modernen klassischen Chinesisch ähnelt. Es braucht Zeit, solche Systeme zu entwickeln, Owen. Auch wenn die Schrift auf diesem Stein fast tausend Jahre älter ist als die anderen Inschriften, sollte es eine Ähnlichkeit zwischen ihnen geben. Eine Art von Verwandtschaft.« Sie drehte den Jadestein in den Händen und drückte ihren Fingernagel in eine der geschwungenen Einkerbungen. »Und nun sieh dir das an. Keine dieser Inschriften ähnelt irgendeinem logografischen System. Im Gegenteil, es sieht eher wie modernes Arabisch aus.«
    »Das ist so gut wie ausgeschlossen«, erwiderte er. »Und es ist auch kein Derivat einer Keilschrift. Aber ja, die Kerben haben eine gewisse ... Melodie in sich, stimmt’s?«
    »Bist du sicher, dass es eine Schrift ist? Es könnte auch ein Kunstwerk sein.« Kunst an sich fußte allerdings ebenfalls auf einer Art Sprache.
    »Miri, du weißt ebenso gut wie ich, dass niemand das ohne weitere Beweise endgültig sagen kann. Aber ...«, er legte eine Faust auf seine Brust, »ich fühle es. Mein Instinkt sagt mir, es ist eine Schrift. Und deiner auch, wenn ich mich nicht irre.«
    »Du irrst dich nicht, nein. Aber was folgt denn daraus? Dass dieses uralte Volk, das von China nach Taiwan migrierte, ein eigenes Schriftsystem besaß? Wenn das so wäre, müsste es dann nicht wenigstens eine schwache Beziehung zu dem System haben, das sich später auf dem Festland entwickelt hat?«
    »Ja. Man würde Ähnlichkeiten erwarten. Und aus diesem Grund glaube ich, dass es sich hier um etwas vollkommen anderes handelt. Um etwas so anderes, dass seine Wurzeln nicht unbedingt in Asien liegen müssen, jedenfalls glaube ich das nicht.«
    Miri starrte ihn an. »Was willst du damit sagen? Dieses Volk wäre aus einer anderen Region hierher migriert und auf dieser Insel ausgestorben?«
    »Die Ergebnisse der ersten Gentests sind zwar noch nicht da, aber vielleicht ist der Stein woanders beschriftet und hierhergebracht worden, entweder von diesen Menschen oder von anderen.«
    »Nephrite kommen normalerweise im südwestlichen Teil von Xinjiang vor, einem Teil der Seidenstraße.«
    »Und wir wissen bereits, nämlich aufgrund der Urumchi-Mumien, dass Menschen damals weit größere Entfernungen zurückgelegt haben, als es bis dahin angenommen wurde.«
    Miri kaute nervös auf ihrer Unterlippe. Kurz vor Urumchi, der Hauptstadt von Xinjiang, waren außerordentlich gut erhaltene Mumien gefunden worden, die zweifellos europäische Gesichtszüge aufwiesen. Sie waren ebenfalls fast viertausend Jahre alt und gaben den Archäologen und Anthropologen immer noch Rätsel auf. Das Timing war einfach perfekt. Das machte es zwar nicht weniger unerklärlich, aber jede Theorie musste eben irgendwo anfangen.
    »Miri«, sagte Owen.
    »Das ist ein großer Fund«, erwiderte sie. »Wirklich ... groß.«
    »O ja.« Er lehnte sich an den Tisch und verschränkte die Arme über seinem dicken Bauch. »Das ist ein Fund, der die Geschichte verändern wird.«
    »Und den die Traditionalisten hassen werden.«
    »Was uns zu den Überbringern der besten schlechten Nachrichten des letzten Jahrzehnts macht.«
    Miri schüttelte den Kopf. »Wir brauchen mehr Beweise, bevor wir etwas veröffentlichen können. Oder auch nur eine Förderung beantragen dürfen. Im Augenblick ist alles nur reine Spekulation, wenn überhaupt.«
    »Selbstverständlich.« Owen stieß sich vom Tisch ab, drehte