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Geliebte des Feuers

Geliebte des Feuers

Titel: Geliebte des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
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Tote, die diesen Stein in ihrer Brust trug.«
    Sie trug einen Stein, wie sie selbst einen getragen hatte, obwohl Miri vermutete, dass ihr eigener die schwerere Bürde gewesen sein könnte. Einfach großartig. Sie war doch eine melodramatische Heulsuse. Was für ein ausgezeichneter Augenblick für Sentimentalität! Wie kam ausgerechnet sie auf die Idee, Owen den Rat zu geben, es mit Wendy zu riskieren?
    »Ich fahre ins Hotel zurück.« Miri stand auf. Sie ignorierte Owens sorgenvolles Gesicht und lächelte ihn an. Vermutlich sah ihr Lächeln genauso gekünstelt und gequält aus, wie sie sich fühlte. Sie verließ sein Büro. Einer der Assistenten hatte die Leichname bereits weggerollt. Vermutlich hatte er auch an der Tür gelauscht.
    Miri war froh, dass sie die Mumien nicht mehr sehen musste. Sie wollte nicht in das Gesicht einer Frau blicken, die seit mehr als viertausend Jahren tot war, wollte nicht über Geheimnisse und Schmerzen nachdenken müssen, weshalb sie das an einen Freund aus ihrer Kindheit erinnerte, der ihr beides gegeben hatte, dies und noch viel mehr, bevor er verschwand und starb.
    Und sie wollte nicht darüber nachdenken, warum sie immer noch von diesem Jungen träumte.
    Miri nahm ein Taxi zum Hotel, bat den Fahrer jedoch, sie ein paar Blocks vom Far Eastern entfernt abzusetzen. Sie tat das aus keinem besonderen Grund; der Mann am Steuer redete einfach zu viel und raste zu sehr. In einem Auto wurde Miri schnell schlecht, und sie konnte die Fragen nach ihrem Ehestand nicht ertragen oder ob sie als huaqiao - als Auslandschinesin - nach Taiwan gekommen war, um nach einem guten Mann zu suchen. Ganz offensichtlich, jedenfalls nach Einschätzung ihres Fahrers, gab es in Amerika keine guten Partien für eine Frau, die wollte, dass ihre Kinder in ihrem Vaterland aufwuchsen. Das Blut spielt die entscheidende Rolle, meinte er.
    Ja, dachte Miri, aber nur, weil sie sich vorstellte, wie es dem Kerl aus seiner gebrochenen Nase lief, die sie ihm gleich verpassen würde, wenn er nur noch ein weiteres Wort sagte. Was er natürlich tat. Offenbar hielt er sich für süß.
    Sie zahlte, stieg aus und ging die letzten Blocks zum Hotel zu Fuß. Die Hitze war schrecklich, und obwohl sich die Sonne hinter den mürrischen Wolken versteckte, war es viel zu hell, fast wie in einem Hochofen. Sie zog ihr Tweedjackett aus und hängte es beim Weitergehen über ihre Tasche. Sie erinnerte sich an andere Spaziergänge, an eine andere Hitze, an Nächte, in denen sie durch dampfende Gassen gerannt war, in denen es nach Öl und Auspuffgasen stank, während irgendwo Feuerwerkskörper explodierten, und sie dachte an den Jungen, der ihre Hand fest in seiner hielt, und wie sie gelacht hatten. Es war eine wilde Zeit gewesen. Sie konnte ihn fast jetzt noch spüren, wie ein Schatten, der sich an ihrer Schulter rieb, an ihrer Seite klebte.
    Hör auf!, befahl sie sich. Tu das nicht.
    Aber sie schob ihre Finger in ihre Bluse und betastete die kleine Narbe über ihrem Herzen. Eine winzige Narbe nur, ein unregelmäßiges Loch. Ein Kuss in der Form einer Schussverletzung.
    Diese uralte Erinnerung machte sie müde, krank vor Heimweh. Sie sehnte sich nach ihrer kleinen Wohnung, ihrem Büro an der Stanford-Universität, in dem die Wände hinter Büchern verschwanden, Büchern und Knochen. Das waren Erinnerungen an ihre Reisen durch die Welt. Sie wollte sich in den Kokon ihrer Arbeit einspinnen, wo sie vor forschenden Blicken und Leuten sicher war, die zu viel redeten und sie nicht verstanden. Owen war da anders; in seiner Gegenwart konnte Miri sie selbst sein. Aber er war eben nur einer, ein Einziger, und manchmal hielt Miri selbst ihm gegenüber etwas zurück.
    Du weißt nicht mehr, wie es ist, dich vollkommen frei in Gegenwart eines anderen Menschen zu benehmen. Du weißt es nicht mehr. Du bist jetzt seit fast zwanzig Jahren allein mit dir.
    Allein mit sich selbst, aber umringt von anderen. Allein in einer Menge. Was nicht immer so schrecklich war, außer an Tagen wie diesem, wenn sie sich in die Vergangenheit zurückwünschte, sich an Zeiten erinnerte, in denen sie einen Freund gehabt hatte.
    Sie erreichte das Far Eastern Hotel, nachdem sie einen kleinen Abstecher durch das funkelnde Einkaufszentrum gemacht hatte, das daneben errichtet worden war. Sie war mit den Aufzügen immer höher gefahren und hatte versucht, sich nicht als unrettbar schlampig zu betrachten, als sie an all den Schaufenstern voll von wunderschönen Dingen vorbeiging. Schließlich

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