Geliebte des Feuers
Miris Miene verfinsterte sich.
»Owen?«, rief sie. Sie trat von dem Leichnam zurück und ging weiter in das Labor, das man ihrem Mentor für die Dauer seines Aufenthalts zur Verfügung gestellt hatte. Er war bereits seit zwei Monaten in Taiwan, als leitender Archäologe für die Ausgrabungen in Yushan. Diese Position hatte er sehr zum Ärger gewisser anderer Personen auf Einladung der taiwanesischen Regierung erhalten, die ihm, Owen, die Oberaufsicht mit allen Rechten übertragen hatte. Das war zwar nicht der übliche Weg, aber Owen Wills war der weltweit anerkannteste Experte für chinesische Artefakte, dicht gefolgt von Miri, und es gab etliche, denen es wichtiger war, den richtigen Mann bei der Ausgrabung zu haben, als sich an die übliche Prozedur zu halten.
Nicht dass Owen sich beschwert hätte - oder Miri. Sie hatte einen Monat in Yushan verbracht, bevor sie nach Stanford zurückkehrte, um noch mehr Anträge auszufüllen und sich mit aufsässigen Studenten und intriganten Kollegen herumzuschlagen. Aber als diese Mumien gefunden wurden, war das für Owen der ideale Vorwand gewesen, um ihre Anwesenheit zu bitten. Und um die taiwanesische Regierung auch dazu zu bringen, dafür zu zahlen.
Miri stieß die schmale Schwingtür auf und betrat eine kleine Höhle. Hier war es dunkel und muffig, überall standen Bücher herum und lagen Knochen und diverse Relikte verstreut, die ihr Mentor in den letzten acht Wochen gesammelt hatte. In Amerika lagen noch mehr, allesamt verpackt und eingelagert. Das kam also dabei heraus, wenn man ein Sammler war - wohin er auch ging, sammelte und lagerte er, so dass sich immer mehr anhäufte. Sie liebte Owens Büros, dies hier und auch alle anderen. Es verfügte zwar nicht über Fenster, aber der warme Schimmer seiner Lampen, der Geruch in der Luft und das Knistern seiner Dokumente lösten bei ihr stets das Gefühl von Heimat aus.
Er saß über seinen Schreibtisch gebeugt, das graue Haar stand ihm in Büscheln vom Kopf ab, während er durch ein großes, mit einem Gestell an der Tischplatte festgeschraubtes Vergrößerungsglas blickte. Eine Lampe leuchtete an seinem Kopf vorbei durch das Glas auf etwas Kleines, Rotes in seinen Händen. Als Miri sich ihm näherte, hörte sie, wie er leise »Rhinestone Cowboy« summte. Also hatte er einen großartigen Fund gemacht. Glen Campbells Song ließ keinen anderen Schluss zu.
»Du warst offenbar fleißig«, sagte sie.
»Du hast keine Ahnung, wie sehr«, antwortete er, ohne den Blick von dem Vergrößerungsglas zu nehmen. »Die Resultate der Röntgenaufnahmen sind heute Morgen angekommen. Die Männer waren relativ normal; einige schlecht verheilte Knochenbrüche, fehlende Zähne. Aber bei der Frau war es ganz anders. Sie hatte etwas ... Merkwürdiges in sich.«
»Merkwürdig?«, wiederholte Miri und sah ihm über die Schulter. Owen wandte ihr den Kopf zu. Seine blauen Augen strahlten, und seine Wangen waren gerötet.
»Merkwürdig«, wiederholte er. »Es war etwas in ihrer Brust eingebettet. Und zwar richtig eingebettet. Ihre Haut war über den Rand dieses Gegenstandes gewachsen. Es war eine höllische Arbeit, das herauszuholen.«
»Ist es das?« Miri deutete auf das Objekt, das er in der Hand hielt. Es hatte einen wächsernen Glanz: ein Nephrit, wie es aussah. Rote Jade. Von ihrem Standort aus wirkte es wie ein wundervolles Artefakt; höchste Qualität und vermutlich sehr sorgfältig ausgesucht.
»Bemerkenswert«, murmelte Miri. »Fast ebenso bemerkenswert wie deine schrecklichen Manieren.«
Owen zuckte zusammen. »Miri ...«
»Hast du dir zufällig die Mühe gemacht, wenigstens irgend jemandem zu sagen, dass du einen Eingriff an dieser Leiche vornimmst? Hast du das getan, Owen? Oder hast du einfach drauflosgeschnippelt?«
Owen sagte nichts. Ein weiterer schrecklicher Gedanke zuckte Miri durch den Kopf, eine schreckliche Vorahnung. »Oh. Owen, bitte sag mir, dass du dich vorher mit Kevin in Verbindung gesetzt hast. Bitte. Wenn du seine Erlaubnis nicht hattest ...«
»Kevin Liao ist ein Einfaltspinsel. Natürlich habe ich ihn nicht informiert. Er hätte diese Frau wie ein Holzfäller mit einer Kettensäge zerlegt, ihren Körper ebenso zerstört wie den des Kindes, das wir in Alishan gefunden haben. Das konnte ich doch nicht zulassen. Außerdem«, Owen sah weg und ließ seine Stimme sinken, »ist er nicht in der Stadt.«
»Er sucht nach weiteren Gräbern?«
»Natürlich. Er erträgt es nicht, dass ich diese Mumien gefunden
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